Viele Unternehmen finden keine Nachfolge mehr. Eine mögliche Lösung: Genossenschaften, denn die teilen die Verantwortung auf. Eine Gruppe junger Leute konnte so ein Antiquariat mit 400.000 Büchern übernehmen.
In einem Hinterhof im Berliner Stadtteil Steglitz verbirgt sich das vermutlich größte Antiquariat Berlins. 400.000 Bücher gibt es in der alten, verzweigten Fabrikhalle. Die Regale gehen fast bis zur Decke. In meterlangen Gängen finden sich Bücher über Bücher, von antiken Philosophen bis Science-Fiction.
40 Jahre hat Harald Hentrich das Antiquariat geführt, jetzt gibt er es ab. Sein Fazit: Für eine Person ist das viel zu viel. Deswegen übernimmt nicht eine Person, sondern zwölf.
Mitarbeitende verwalten Betrieb selbst
Das riesige Antiquariat geht an eine Gruppe junger Leute. Manche von ihnen sind ehemalige Mitarbeiter*innen. Damit sie sich zusammen um den Betrieb kümmern können, haben sie sich in einer Genossenschaft zusammengeschlossen.
Für viele Unternehmen ist das gerade eine gute Lösung, sagt Johannes Blome-Drees. Er lehrt und forscht an der Uni Köln zu Genossenschaften und hat festgestellt: Vor allem kleine Unternehmen haben oft niemanden mehr, der das Geschäft übernehmen kann.
"Zigtausende von Unternehmen stehen vor der Betriebsübergabe oder Auflösung, weil sie keinen geeigneten Nachfolger finden."
Viele stehen kurz davor, dicht zu machen. In einer Genossenschaft kann die Verantwortung aufgeteilt werden. Aber was ist das überhaupt?
Genossenschaften als nachhaltiges Geschäftsmodell
Kurz gesagt: Leute schließen sich zusammen, damit nicht die ganze Arbeit an einer Person hängen bleibt. Auch das finanzielle Risiko trägt nicht eine Person allein.
Oft geht es darum, Dinge zu bewahren. So wird der Bäckerladen im Dorf gerettet, die Schließung des Schwimmbads verhindert oder eben ein altes Antiquariat weitergeführt.
Die Genossenschaft soll nicht möglichst viel Gewinn bringen. Sie ist ein stabiles und nachhaltiges Geschäftsmodell.
Genossenschaften am wenigsten insolvent
Deswegen gehen Genossenschaften im Vergleich zu anderen Unternehmen auch am seltensten insolvent.
Die Anteile sind auf verschiedene Leute aufgeteilt, die sie kaufen und verkaufen können. Wenn einer raus ist, ist nicht gleich die Genossenschaft pleite. Sie kann einfach neue Mitglieder aufnehmen.
"Man kauft einen Anteil und wenn man kein Teil der Genossenschaft mehr sein möchte, verkauft man diesen Anteil wieder."
Mitgliederversammlung in der Kneipe
Mathilde ist im Vorstand der Buchgenossenschaft Hennwack, die das Antiquariat in Berlin übernommen hat. Vorstand, Genossenschaft – klingt kompliziert und etwas trocken, muss es aber nicht sein.
"Wir haben keine Mitgliedervollversammlung, sondern treffen uns abends in der Kneipe."

Mathilde und ihre Kolleg*innen sind untereinander alle befreundet, vieles läuft deswegen informell ab. Es gibt auch keine klassische Mitgliedervollversammlung. Wenn es etwas zu besprechen gibt, dann abends in einer Kneipe oder in einer WhatsApp-Gruppe.
Demokratisch, praktisch, gut
So läuft das ab: Jede Person hat eine Stimme, alle Stimmen zählen gleich viel. Es macht keinen Unterschied, wie viel Geld jemand mitbringt. Genossenschaften sind also sehr demokratisch.
Das Antiquariat ist gerade vorübergehend geschlossen und soll jetzt umziehen, ein paar Straßen weiter. Geplant ist ein Buchladen mit kleinem Café als kultureller Treffpunkt für all diejenigen, die Lust auf Bücher haben.

"Es ist zu viel für eine Person, das zu managen."
Eine Person alleine würde den Umzug mit fast einer halben Million Bücher wahrscheinlich gar nicht schaffen.
Ein Ort für Bücher und Gemeinschaft
Auch zu zwölft ist das alles viel. Aber die Buchgenossenschaft ist davon überzeugt, dass das, was sie tut, wichtig ist.
Die Arbeit machen sie und ihre Freunde sich aus ideellen Gründen, sagt Mathilde. "Diese Orte müssen bewahrt werden und man muss sie auch neu schaffen."
"Wir machen das in erster Linie aus ideellen Gründen."
Damit liegt die Buchgenossenschaft Hennwack im Trend. Fast die Hälfte der Genossenschaften, die es heute gibt, haben sich seit den 2000er Jahren neu gegründet. Die Vereinten Nationen haben 2025 sogar zum internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt.
Genossenschaften werden streng geprüft
Wer selbst eine Genossenschaft gründen will, sollte die Geschäftsidee aber gut durchdacht haben. Die wird nämlich von mehreren Instanzen auf Herz und Nieren geprüft.
Erst dann gibt es einen Eintrag ins Genossenschaftsregister. Mindestens alle zwei Jahre steht eine Jahresabschlussprüfung an.