Wenn wir ganz bei uns sind, an nichts anderes denken als an unsere Arbeit, dann befinden wir uns im Flow. Das Zeitempfinden ist bei jedem von uns anders ausgeprägt – und abhängig von unserem Gefühlszustand, sagt der Zeitforscher Marc Wittmann in seinem Vortrag.
Ob bei Albert Einstein oder in der Kultserie "Star Trek": Raum und Zeit lassen sich raffen oder dehnen oder verschwinden mitunter ganz. Manchmal befinden wir uns auch in einer Lebenssituation, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Um herauszufinden, warum Zeit so unterschiedlich wahrgenommen wird, unternimmt der Zeitforscher Marc Wittmann schon seit vielen Jahren Experimente mit seinen Probanden.
Unter anderem hat er die Wartezeit unter die Lupe genommen. Wenn wir einfach nur dasitzen, nichts tun als ständig auf die Uhr zu schauen, vergehe die Zeit für uns ganz langsam. Sind wir jedoch mit Begeisterung beschäftigt, rast sie dahin wie im Flug. Außerdem habe sich das Zeitgefühl im Lauf der Jahrhunderte verändert.
"Wir haben eine Entwöhnung vom Warten-Können, von dieser Möglichkeit, einmal einfach nur ruhig dazusitzen. Vormals kurze Wartezeiten sind uns heute zu lang."
Inzwischen, so Wittmann, könne das "Nicht-Mehr-Warten-Können" sogar zu Aggressionen führen. So habe eine Straßenbaustelle in den Vereinigten Staaten zu Gewaltausbrüchen mit Schusswaffeneinsatz der Autofahrer gegenüber den Bauarbeitern geführt. Sie mussten – ihrem subjektiven Zeitempfinden nach – zu langsam fahren.
"Menschen, denen zu viel Wartezeit aufgebürdet wird, neigen dazu, die Geduld zu verlieren und zu überreagieren."
Am deutlichsten lässt sich laut Wittmann das historisch veränderte Zeitempfinden anhand von Urlaubs- oder Geschäftsreisen darstellen. Eine Tagesreise im 18. Jahrhundert sei etwas völlig anderes gewesen als heute. Eine Tagesreise heute bedeute, dass wir in Peking landen können. Bei einem solchen Tempo verschwindet dann wiederum auch der Raum, der früher tagtäglich auf der Reisestrecke zu spüren war.
Der Humanbiologe und Psychologe Marc Wittmann arbeitet am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Hier wird das Rätsel des sich ständig verändernden subjektiven Zeitempfindens erforscht. Die Universitätsklinik Bochum für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe hat am 5. und 6. November 2021 zu einem Symposium unter dem Titel "Beschleunigung und Entschleunigung – 'Immer schneller, immer höher, immer weiter' war gestern" eingeladen.