Immer öfter tragen Erwachsene Zahnspangen. Anders als bei Kindern und Jugendlichen übernimmt die Krankenkasse für sie aber nicht die Kosten. Das nutzen einige private Anbieter und machen aus der kieferorthopädischen Behandlung ein Geschäftsmodell. Experten kritisieren das.
Lächeln Teenager, glänzt bei manchen von ihnen etwas Metallisches auf den Zähnen: die Brackets. Dann tragen sie eine feste Zahnspange. Schiefe Zähne sind aber nicht nur bei Kindern und Jugendlichen ein Thema, auch Erwachsene tragen häufig wieder eine Spange oder Schiene, um ihre Zähe zu begradigen.
Genaue Zahlen darüber, wie viele Erwachsene das sind, fehlen bislang. Gerade die 20- bis 40-Jährigen greifen aber öfter zur Spange, sagt Alexander Spassov, Fachzahnarzt für Kieferorthopädie. Viele von ihnen waren als Kind oder Teenager in kieferorthopädischer Behandlung und tragen als Erwachsene wieder eine Spange oder Schiene, weil sich ihre ehemals geraden Zähne mit den Jahren verschoben haben.
"Ich hatte meine lose Spange nicht gut genug getragen, weswegen sich meine Zahnfehlstellung wieder zurück verschoben hat."
Bei Natalie war das zum Beispiel so. Sie hat als Jugendliche eine lose Zahnspange getragen und hat heute als Erwachsene eine Zahnschiene aus Kunststoff, ein sogenanntes Aligner-Modell. Aligner sind im Vergleich zu festen Zahnspangen mit Brackets kaum sichtbar und lassen sich einfach herausnehmen beispielsweise beim Essen.
Eine Überweisung oder Begleitung von einer Kieferorthopädin brauchte Natalie für die Zahnschiene nicht. Solche Aligner-Behandlungen bieten mittlerweile private Unternehmen an, die mit Zahnärztinnen und Zahnärzten zusammen arbeiten.
Aus medizinischen Behandlungen ein Geschäft machen
Die Kosten für eine Zahnspange oder -schiene im Erwachsenenalter tragen die Patientinnen und Patienten in der Regel allerdings selbst. Krankenkassen übernehmen nur für Versicherte unter 18 Jahren die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung, wenn sie medizinisch notwendig ist, es also eine Abweichung von mindestens drei Millimetern zwischen zwei Zähnen gibt. So steht es im fünften Buch des Sozialgesetzbuches, Paragraf 29. Für alle über 18 Jahren gilt: Sie zahlen selbst.
Für die Gesundheit einen Kredit aufnehmen
Wie teuer eine solche Behandlung sein kann, weiß Johanna. Seitdem sie 34 Jahre alt ist, trägt sie eine feste Zahnspange. Weil sie eine lange Zeit an Migräne litt und andere Behandlungen mit beispielsweise Medikamenten ihr nicht geholfen haben, hat sie eine Ärztin an die Kieferorthopädie verwiesen.
Durch die Zahnspange und eine Operation am Kiefer mit einem kontrollierten Kieferbruch, hat Johanna keine Migräne mehr. Insgesamt hat sie für die Behandlung 8.000 Euro bezahlt. Anders als die Medikamente, die Besuche im Schlaflabor und Co. hat die Krankenkasse ihr das Geld für die Spange nicht zurückerstattet. Stattdessen hat Johanna einen Kredit aufgenommen, den sie über monatliche Raten abbezahlen konnte.
Kritik an der privaten Kostenübernahme
Kieferorthopäde Alexander Spassov hält die Regelung der fehlenden Kostenübernahme im Erwachsenenalter für bedenklich. Zum einen kann sich nicht jede und jeder die oftmals notwendige Behandlung mit einer Zahnspange oder Schiene leisten. Zum anderen wird die medizinische Behandlung zum Geschäft, erklärt er.
"Aus einer medizinischen Behandlung wird ein Geschäft. Das finde ich sehr besorgniserregend."
Laut Bundesrechnungshof geben die gesetzlichen Krankenkassen jedes Jahr rund 1,1 Milliarden Euro für die kieferorthopädischen Behandlungen von Unter-18-Jährigen aus. Der Bundesrechnungshof kritisiert allerdings, dass unklar sei, wie hoch der Nutzen der Behandlungen ist. Auch ein Gutachten, das das Bundesgesundheitsministerium auf die Kritik des Bundesrechnungshofs im November 2018 erstellt hat, lässt die Frage offen, ob gerade Zähne grundsätzlich gesünder sind.
Gerade Zähne: Gesundheit oder Ästhetik?
Besonders private Anbieter, die Zahnspangen und -schienen für Erwachsene verkaufen, werben damit, dass gerade Zähne ästhetisch seien. In Hinblick auf das Gutachten des Bundesgesundheitsministeriums stellt sich auch die Frage, inwiefern wir dazu erzogen werden, dass Zähne gerade sein sollten. Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich mittlerweile auch der Gesundheitsausschuss des Bundestags. Dort wird auch besprochen, ob Anbieter von Zahnschienen stärker reglementiert werden sollten.