Wünsdorf ist ein kleiner Ort in Brandenburg, südlich von Berlin. Zu DDR-Zeiten war hier eine riesige Garnison der Sowjetarmee stationiert: 75.000 Mann. Dazu gehörten auch Alla und ihr Mann. Die schönste Zeit in Allas Leben. Bis die Mauer fiel.
Am 22. September 1986 kommt Alla in Wünsdorf an - mit ihrem Mann und ihrem vierjährigen Sohn. Alla ist 22 Jahre alt. Sie hat früh geheiratet, mit 18, und früh ein Kind bekommen. Sie hat Modedesign studiert, mit Mann und Kind in Sankt Petersburg gelebt. Dann wurde ihr Mann nach Wünsdorf versetzt und für Alla beginnt eine paradiesische Zeit.
In der Nachkriegszeit ist Wünsdorf der größte Stützpunkt einer Sowjetgarnison außerhalb der Sowjetunion. 75.000 Männer, Frauen und Kinder leben hier. Alla und ihre kleine Familie bekommen eine Dreizimmerwohnung zugewiesen. Kost und Logis sind frei. Alla ist glücklich. Sie hat einen Job, schneidert Uniformen für russische Soldaten und wird wieder schwanger.
"In Wünsdorf haben wir eine Dreiraumwohnung gekriegt. Das Haus wurde neu gebaut. Ich kam da rein und habe gesagt: Das ist wie ein Palast!"
Die geschlossene Stadt oder "Klein Moskau"
In Wünsdorf leben Alla und die 75.000 anderen Russen wie in einer Enklave: Kontakt zu Deutschen ist verboten, Fahrten nach Berlin gehen nur mit Genehmigung. Für Alla war Wünsdorf eine eigene Welt. Sie nimmt aber auch die Verbote nicht ganz ernst und fährt ab und an nach Berlin. Ansonsten genießt sie das russische Gemeinschaftsgefühl in Wünsdorf.
"Aber der Zusammenhalt! Und das ist wichtig. Wir haben zusammen Tee getrunken, uns unterhalten und wir haben viel gearbeitet."
Es gibt Abendveranstaltungen, eine Band tritt auf, verschiedene Personen sagen Gedichte auf, singen oder tanzen, am Ende wird ein Sieger bestimmt, wie heute bei Castingshows.
"Nach dieser Vorstellung hatten mich viele auf der Straße erkannt. Wenn Soldaten an mir vorbeigefahren sind, haben die immer gehupt. Das war schön."
Zurück nach Wünsdorf
Am 9. November 1989 fällt die Mauer, aber in Wünsdorf soll alles bleiben, wie es war: kein Kontakt zu Deutschen, keine Fahrten nach Berlin. Alla spielt nicht mit und wird erwischt. Im Mai 1991 muss sie Wünsdorf innerhalb von 24 Stunden verlassen, zurück nach Sankt Petersburg. Vom Paradies in die Hölle: Allas Ehe zerbricht, ihre Mutter hat Krebs. Und Alla hat nur einen Wunsch: zurück nach Wünsdorf.
Alla hat im Gespräch mit Einhundert-Autor Christian Grasse immer wieder erzählt, wie wichtig der Zusammenhalt in Wünsdorf für sie war und dass jeder alles über jeden wusste. Deshalb war Christian ziemlich überrascht, dass Alla keine Ahnung hatte, was ihr Mann eigentlich macht. Erst vor drei Jahren hat sie erfahren, dass ihr Mann beim Geheimdienst war - aber was er dort genau gemacht hat, das weiß sie bis heute nicht.
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