Stinksauer, zornig und richtig wütend werden wir alle manchmal. Was wir als gewaltige, private Emotion erleben, ist manchmal mehr: nämlich ein politisches Gefühl. Ein Vortrag von Johannes Lehmann.
"Ha, Du in Unverschämtheit gehülleter, sinnend auf Vorteil! Selbst mein Ehrgeschenk, das drohest du mir zu entreißen, welches mit Schweiß ich errungen, und mir verehrt die Achaier!"
Das ist ein klassisches Beispiel für eine Wutrede, die des Achill gegen Agamemnon, hübsch im Hexameter verfasst und gebändigt, aber da ist jemand richtig sauer. Die Rede stammt aus der Ilias von Homer und ist über zweitausend Jahre alt. Auch heute ist dieses Gefühl der Wut für uns gut nachvollziehbar.
"Wutreden sprechen von dem Einsatz der eigenen Energie, die nicht den erwarteten Ertrag gebracht hat, und werfen das dem anderen vor."
Über die Jahrhunderte hinweg hat sich einiges gewandelt in unserem Verständnis und in unserem Umgang mit Wut. Der Literaturwissenschaftler Johannes Lehmann erklärt: In der Antike stand vor allem der Zorn im Mittelpunkt, der fast immer verbunden war mit dem Wunsch nach Rache. Heute verbinden wir mit Wut ein Gefühl der Ohnmacht. Und in diesem Sinne ist Wut auch ein politisches Gefühl, sagt Lehmann, ein Gefühl, das gefährlich werden kann.
"Bei der Wut geht es um die Reaktion auf eine erlebte Schieflage."
Johannes Lehmann ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Bonn und hat ein Buch über die Kulturgeschichte des Zorns geschrieben. Sein Vortrag hat den Titel "Wut – Zum affektpolitischen Problem der Identität", er hat ihn am 6. November 2018 am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen gehalten.
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