Selbstoptimierung ist das Stichwort unserer Zeit: so viel arbeiten wie möglich, den Körper im Fitnessstudio in Richtung Idealvorstellung bringen und dabei noch eine Instagram-taugliche Freizeit haben. Toni erzählt, warum ihn das total gestresst hat und wie er inzwischen versucht, achtsam mit sich umzugehen. Wie dieser Druck, ständig produktiv zu sein, entsteht, erläutert Arbeitssoziologe Philipp Staab.
Für das letzte Wochenende hat sich Toni eine To-do-Liste geschrieben, darauf stehen Dinge wie Mails von der Arbeit checken, genauso wie seine Eltern anrufen. Um seinen Alltag zu strukturieren, hat er Time-Boxes eingeführt, in denen er Sachen einträgt, die er zu der Zeit machen möchte. Für manche Menschen hört sich das sehr ambitioniert an. Für Toni ist das aber schon die gemäßigte Variante.
"Bei mir kam das auch mit so Produktivitätsvideos von Youtube, die den Tag optimieren."
Schon in seiner Jugend hat sich Toni mit Produktivität auseinandergesetzt. Er musste sich sowohl beim Leistungssport selbst disziplinieren, als auch durch den Wunsch, später ein Psychologiestudium zu absolvieren, für das gute Noten Voraussetzung sind.
Gute oder krankmachende Produktivität
Zur Inspiration schaute Toni gerne Youtube-Videos, die den Tagesablauf optimieren. Das führte später in seinem Leben soweit, dass er sogar eine Zeit lang nur 4,5 Stunden schlief, in der Nacht aufstand und trainierte. Tonis Tagesablauf setzte sich fort mit einem ganz normalen Arbeitstag, der um 8 Uhr anfing und mit nur kurzen, wenigen Pausen am Abend endete. Nach dem Feierabend rief dann nicht die Couch, sondern noch das soziale Leben, welches auch noch normal stattfinden sollte.
"Ich hatte auch das Gefühl, dass mein Körper das gar nicht gut angenommen hat, ich hab immer Bauchschmerzen davon gehabt."
So ein Pensum ist heutzutage oft an der Tagesordnung, sagt Arbeitssoziologe Philipp Staab. Die Dynamik immer mehr in den Tag pressen zu wollen, entsteht unter anderem dadurch, dass wir immer mehr in Berufen arbeiten, in denen wir eigenverantwortlicher und kreativer arbeiten.
"Es ist mit den Kulturprägungen verbunden, der eigene Wert hängt zunehmend an der Leistung, die man erbringt."
Weil Arbeit immer mehr Teil der eigenen Persönlichkeit geworden ist, bekommt Arbeit bei vielen einen wesentlich höheren subjektiven Wert. Dadurch steigt auch der Anspruch, effizient und gut darin sein zu wollen. Außerdem verführen neue Technologien uns immer mehr dazu, auch in der Freizeit effektiver zu sein. Spielerische Ansätze bei Sportapps fordern uns zum Beispiel zu Höchstleistungen heraus und Social Media zeigt uns, dass wir nie genug in unserer freien Zeit machen.
Runterfahren kann Produktivität steigern
In einer Studie wurde nachgewiesen, dass die produktivsten Arbeitnehmer*innen die sind, die sich im Verhältnis den meisten Urlaub nehmen. Was ihr aus dieser Information macht, bleibt euch überlassen.
Arbeitssoziologe Philipp Staab rät allerdings davon ab, sich jetzt einen Van zu kaufen und ins freie Leben abzuhauen. Er erläutert, dass genau dieses Leben noch stressiger ist, als das, das wir an einem festen Wohnsitz führen. Zum Beispiel komme zum Selbstoptimierungsstress auch noch die tägliche Suche nach einem Stellplatz für den Van mit einer Instagram-würdigen Aussicht dazu, den noch keiner kennt. Wenn Social Media die Einnahmequelle ist, dann ist man selbst das Produkt, was noch mehr Produktivitätsdruck hervorruft, erklärt Philipp Staab.
"Du kannst auch mal stolz sein auf das, was du machst. Du bist viel glücklicher, wenn du nicht mehr zielgerichtet alles machst."
Was jedoch helfen kann, ist seine Erfolge auch mal so richtig ausgiebig zu feiern und zu genießen und nicht direkt an das nächste zu erreichende Ziel zu denken, sagt Toni. Philipp Staab hingegen sieht auch die Politik immer mehr in der Verantwortung. Sie sollte Rahmenbedingungen schaffen, die es den Menschen möglich machen, Arbeit und Freizeit ausgewogener gestalten zu können und gleichzeitig mehr vor verführerischen Technologien schützen.
Anmerkung der Redaktion: Name von Toni auf eigenen Wunsch geändert
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- Toni*, hatte das Gefühl, dass er ständig produktiv sein muss (*Name von der Redaktion geändert)
- Arbeitssoziologe Philipp Staab, über unsere Work-Life-Balance