Für die deutschsprachige Wikipedia schreiben vor allem Männer – und die schreiben offenbar auch am liebsten über Männer, so der Vorwurf von Autorin Theresa Hannig. Konkret entzündete sich die Kritik jetzt an einer Liste von Science-Fiction-Autorinnen, die von einem Wiki-Admin gelöscht wurde.
Theresa Hannig ist Softwareentwicklerin und Autorin. Sie schreibt dystopische Romane, etwa "Die Optimierer". Und sie ist in der Szene vernetzt. Eines Tages liest sie einen Tweet, in dem jemand nach deutschsprachigen Science-Fiction-Autorinnen sucht. Weil sie nirgends eine Liste finden kann, legt sie selbst eine an - bei Wikipedia. Doch am selben Tag wurde ihre Liste zur Löschung vorgeschlagen. Begründung: Sie sei überflüssig, weil redundant und dubios.
Autorinnen sichtbar machen
Das Problem bei der Sache: Es gibt bei Wikipedia zwar eine Liste deutschsprachiger Science-Fiction-Autoren" - doch darauf sind hauptsächlich Männer aufgeführt. Wer speziell nach Autorinnen sucht, muss sie umständlich durchscrollen. Theresa Hannig wollte das mit ihrer Liste vereinfachen - und überhaupt Autorinnen sichtbarer machen, indem sie eine gesonderte Liste erstellte.
"Wenn man nach Autoren sucht, bekommt man zu 80 Prozent männliche Autoren aufgelistet - egal, in welchem Genre. Es gibt aber leider keine Möglichkeit, nach Geschlecht zu filtern. Diesen eklatanten Mangel wollte ich also endlich ändern."
Kein Gendersternchen
Generell wird in der deutschsprachigen Wikipedia das generische Maskulinum verwendet, so steht es in den Regeln. Das heißt, dass unter einer Liste zu "Schauspielern" auch Schauspielerinnen stehen können - oder Menschen, die schauspielern und sich keinem Geschlecht zuordnen können.
Ein Wikipedia-Admin löschte also Theresa Hannigs Liste. Doch inzwischen ist sie wieder online. Denn es hat sich innerhalb der Wikipedia eine große Diskussion zu dem Thema entspannt.
Bei change.org hat Theresa Hannig eine Petition gestartet. Sie fordert "mehr Geschlechtergerechtigkeit, mehr Demokratie und mehr Sichtbarkeit für Frauen und non-binäre Menschen in der deutschsprachigen Wikipedia".
In ihrer Petition nennt sie drei Punkte, die Wikipedia umsetzen soll:
- Eine Abschaffung der Pflicht zum generischen Maskulinum in den Wikipedia-Artikeln.
- Frauen und nicht-binäre Menschen neben Männern sichtbar zu machen, indem Listen nach Geschlecht suchbar, auffindbar und sortierbar sind.
- Eine Demokratisierung der internen Entscheidungsprozesse, sodass sich mehrere fachkundige Admins nach erfolgter Diskussion über eine Artikellöschung abstimmen müssen.
"Viele Artikel über Frauen werden schnell wieder gelöscht, mit dem Argument, sie seien nicht relevant."
Ein anderes Beispiel für eine vorschnelle Löschung eines Artikels, in dem es um eine Frau geht: Der Wikipedia-Artikel über die Physikerin Donna Strickland: Sie erhielt 2018 den Nobelpreis. Erst nach dieser Ehrung ging ein Artikel über sie online - eine vorherige Version war gelöscht worden.
Nach dem Nobelpreis ein Wiki-Artikel
Kritik an der vornehmlich männlichen Sichtweise an Wikipedia gibt es schon länger. Die Molekularbiologin Maryam Zaringhalam aus New York sagt beispielsweise, dass Wissenschaftlerinnen in der Wikipedia schlechter wegkommen. Denn: Man müsse von anderen zitiert werden oder Preise erhalten haben oder die Medien müssen viel über einen berichten, damit man relevant genug für einen Artikel scheint. Doch Frauen würden in dieser Hinsicht oft übersehen.
Warum wir weniger Literatur von Frauen lesen, und Autorinnen weniger sichtbar sind als Autoren, darüber haben wir auch mit der Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz gesprochen.
- Wikipedia soll weiblicher werden | 90 Prozent der Wikipedia-Autoren sind männlich. Die männliche Sicht auf die Welt spiegelt sich auch in den Inhalten wider.
- Donna Strickland: Nicht wichtig genug für Wikipedia | Der Wikipedia-Eintrag der Nobelpreisträgerin wurde zunächst wieder gelöscht.
- "Einer weiß viel, alle wissen alles" | Dominik Scholl von Wikimedia Deutschland erklärt im Hörsaal die Ziele und die Arbeitsweise der Organisation.
- Bücher von Frauen sichtbar machen | Auf Twitter machen die Hashtags #frauenlesen und #wirlesenfrauen die Runde. Die Idee dahinter: Eine Art weiblichen Literaturkanon zu erstellen und Literatur von Frauen sichtbarer zu machen.
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