Vor knapp einem Monat wurde der Schwarze George Floyd von einem weißen Polizisten getötet. Seitdem demonstrieren Menschen weltweit mit der Bewegung "Black Lives Matter" gegen Rassismus und Diskriminierung von Schwarzen und People of Color. Unter welchen Bedingungen breitet sich offener Protest über Ländergrenzen hinweg aus?
Probleme und Ungerechtigkeiten gebe es auf der Welt sehr viele, sagt Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. Doch nicht jede Ungerechtigkeit löse gleich eine Protestbewegung aus. Wenn es dazu komme, sei das die Arbeit und gesellschaftliche Leistung konkreter Gruppierungen – und das gleich in doppelter Hinsicht: Zum einen machten diese Gruppen das Problem greifbar und begreifbar, so dass es relevant werde. Zum anderen schafften sie Gelegenheiten, sich zum Thema engagieren zu können, und böten eine Perspektive, sich auch langfristig damit zu beschäftigen.
"Es muss Leute geben, die tatsächlich die Arbeit machen, andere Menschen zu organisieren. Die sich treffen und überlegen: Wie kann man sowas aufziehen?"
Ohne Menschen, die vorangehen und "die Arbeit machen", gehe es nicht, sagt der Protestforscher. Sie müssten zunächst festlegen, welche Art von Protest relevant ist und die Leute anspricht. Und sie müssten eine Deutung anbieten, die funktioniert. Der Bewegung "Black Lives Matter" sei es gelungen, die grundsätzliche Frage zu stellen: Wie funktioniert eigentlich Rassismus?
Rassismus als Herrschaftsverhältnis
Nach den Morden von Hanau sei in Deutschland noch die Rede davon gewesen, Rassismus sei ein "Gift". Das habe sich inzwischen verändert.
"Was gerade passiert: Immer mehr Menschen wird klar, dass Rassismus kein 'Gift' ist, sondern ein Herrschaftsverhältnis."
Rassismus sei ein Herrschaftsverhältnis, von dem Weiße auch dann profitieren, wenn sie niemanden aktiv diskriminieren, sagt Simon Teune. Genau solche radikalen Perspektivwechsel möglich zu machen und zu verbreiten, sei die Leistung sozialer Bewegungen wie "Black Lives Matter".
Die Macht der Bilder
Dass die Bewegung jetzt wieder so viel Zuspruch bekommt, habe zunächst mal mit dem "zufälligen Grund" zu tun gehabt, dass es das Video gibt, das die Ermordung von George Floyd zeigt. Dadurch hätten die Proteste, die es ja vorher nach Morden an Schwarzen auch immer schon gegeben habe, eine breite Berichterstattung in den Medien bekommen.
Das habe dazu geführt, dass immer mehr Menschen das Gefühl hatten, dass sich etwas ändern könnte, wenn sie jetzt auf die Straße gehen. Und das wiederum könne dann eben auch dazu führen, dass das Thema auch in anderen Ländern aufgegriffen - und dort auf den jeweiligen Kontext bezogen wird, so der Protestforscher: In Frankreich spricht man über Adama Traoré, in Deutschland über Oury Jalloh.
Proteste bedingen sich gegenseitig
In den letzten Monaten gab es auch viele andere Proteste, etwa für den Kohleausstieg, für Corona-Hilfen, für die Rechte von LGBTQ-Menschen, gegen das Artensterben, für eine Verkehrswende… Man könne aber nicht sagen, dass Proteste wichtiger geworden sind als früher, sagt Simon Teune. Sie entwickelten sich wellenförmig – es gebe also manchmal Phasen mit mehr und manchmal mit weniger Protesten. Wenn ein Protest zu einem Thema funktioniere, motiviere das auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Bewegungen dazu, auf die Straße zu gehen.
"Proteste entwickeln sich so ein bisschen wellenförmig. Sie bedingen sich gegenseitig."
Nach einer Protestwelle folge eine Phase, wo die Proteste wieder abflauen. In Deutschland sei es „bis jetzt immer so gewesen, dass es dann später auf einem höheren Niveau weitergegangen ist“. Protest sei also nicht umsonst, sondern sehr wichtig.
Social Media verstärkt Wahrnehmung der Proteste
Gleichzeitig nähmen wir die Proteste heute aber vielleicht auch stärker war, sagt Simon Teune. Weil sie über Social Media schneller bei uns landen, über Livestreams bei Twitter und Facebook teilweise sogar in Echtzeit. Tatsächlich dauerhaft wirksam würden soziale Bewegungen vor allem dann, wenn sich dauerhafte Gruppen zusammenfinden, die das Thema am Leben erhalten und in ganz unterschiedlichen Feldern einbringen: nicht nur über Protest, sondern auch, indem sie auf die Medien Einfluss nehmen, Diskussionen organisieren und kulturell arbeiten, also etwa Konzerte oder Filme machen.