Amir ist Ende zwanzig, Agnes 102 Jahre alt – seit über zwei Jahren wohnen die beiden als WG zusammen. Anfangs brauchte Amir einfach dringend eine Wohnung. Heute ist Agnes für ihn zu seiner Oma geworden.
Vor über drei Jahren musste Amir aus Iran fliehen – denn er ist homosexuell und muss dort Verfolgung und Bestrafung fürchten. Er kam nach Berlin, doch eine Wohnung zu finden, war sehr schwer. Dann stieß er auf die private Anzeige von Agnes. Ursprünglich suchte sie eine Frau, die mit ihr zusammenwohnen und ihr beim Alltag helfen sollte.
"Ich bewundere den Mut von Agnes, eine fremde Person bei sich wohnen zu lassen und mir von Anfang an so zu vertrauen."
Denn Agnes möchte nicht im Seniorenheim, sondern in ihrer eigenen Wohnung wohnen bleiben. Ein Wunsch, den Amir nachvollziehen kann und respektiert. Wenn er ihr dabei helfen kann, dann möchte er ihr diesen Wunsch erfüllen, sagt er. Inzwischen sind die beiden vertraut und unternehmen viel zusammen.
Mehr als eine WG
Aus der anfänglichen WG ist für Amir ein Zuhause geworden, sagt er. Über dem Sofa im Wohnzimmer hängt ein Bild von den beiden. Agnes ist für Amir nicht einfach ein Ersatz, sie ist ihm eine echte Oma geworden. Wenn Agnes sich fit fühlt, dann unternehmen die beiden viel draußen: Sie gehen essen, schaukeln, gehen ins Schwimmbad. Aber er hilft ihr auch bei all den Dingen, die sie nicht mehr alleine schafft.
Privatsphäre hat Amir aber kaum. Deshalb kann er verstehen, dass so eine Wohnsituation nicht für jede und jeden etwas ist. Er hat sich dafür entschieden, seine Freizeit größtenteils Agnes zu widmen – solange er das aushalten und tun kann. In Zukunft möchte Amir seinen privaten, ambulanten Pflegedienst eröffnen. So kann er sich eine eigene Wohnung leisten und trotzdem weiterhin für Agnes da sein.
"Ich habe viel von Agnes gelernt und beobachte im Umkehrschluss, wie sehr meine Gesellschaft sie aufblühen lässt."
Neben privaten Anzeigen gibt es auch Projekte, die mehrere Generationen für eine Wohngemeinschaft zusammenführen. Eines davon ist "Wohnen für Hilfe" des Deutschen Studentenwerks. Studierende werden dabei an Menschen vermittelt, die Wohnraum zur Verfügung haben, etwa Senioren, Menschen mit Behinderung oder Alleinerziehende. Die Studierenden müssen wenig Miete zahlen oder nur etwa die Nebenkosten – dafür helfen sie im Alltag.
"Die Faustregel ist: Für jeden Quadratmeter Wohnfläche hilft der oder die Student*in eine Stunde im Monat im Haushalt und Alltag mit."
Wie genau die Hilfe aussieht, variiert mit der konkreten Wohnsituation. Beide Parteien füllen anfangs Fragebögen aus, welche Hilfe sie suchen beziehungsweise leisten wollen. Das kann Gartenarbeit, Babysitting, Einkaufen oder einfach Gesellschaft leisten sein. Ausgenommen sind hierbei allerdings klassische Pflegediensttätigkeiten.
Die Nachfrage ist hoch
Insgesamt 13 Studierendenwerke bieten "Wohnen für Hilfe" inzwischen an. Die Nachfrage deckt das aber bei weitem nicht. Eine Lösung für die angespannte Wohnungsmarkt ist die Initiative also nicht – aber eine Ergänzung. Wer Interesse hat, kann sich bei dem jeweiligen Studierendenwerk anmelden, wird vermittelt und schließlich zu einem Kennenlernen mit der in Frage kommenden Person eingeladen.
Wer von euch sich so ein Konzept vorstellen könnte oder auch nicht, das hört ihr in der Ab 21.
Das Titelbild zeigt unseren Gesprächspartner Amir und seine Mitbewohnerin Agnes.
Meldet euch!
Ihr könnt das Team von Facts & Feelings über WhatsApp erreichen.
Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?
Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an factsundfeelings@deutschlandradio.de.
Wichtig: Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei WhatsApp die Datenschutzrichtlinien von WhatsApp.
- Amir wohnt mit der 102-jährigen Agnes zusammen
- Die Initiative "Wohnen für Hilfe" der Studierendenwerke - Gespräch mit Marcel Bechtel