Die wegen des Ukraine-Kriegs ausbleibenden Weizenlieferungen verstärken den Hunger in der Welt. Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze hat die Verbraucher:innen deshalb aufgefordert, ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Anbaufläche werde nämlich für Tierfutter genutzt. Wir haben uns erklären lassen, ob diese Rechnung aufgeht.
Weniger Fleisch essen ist nicht nur gesund. Und man kann damit etwas gegen den Klimawandel tun. Es würde auch weniger Menschen hungern lassen. Der Krieg in der Ukraine verstärkt dieses Problem aktuell massiv: Fast 30 Prozent der weltweiten Weizenexporte kommen bisher nämlich aus der Ukraine und Russland. Dazu kommen hohe Weltmarktanteile bei Gerste, Mais und Sonnenblumenöl.
Weil gerade deutlich weniger Getreide aus der Ukraine und Russland geliefert wird, lässt das die Preise steigen und verstärkt die Ernährungsprobleme – vor allem in Nordafrika und im Mittleren Osten, wo die Länder zu einem großen Teil auf Lebensmittel-Exporte aus Russland und der Ukraine angewiesen sind.
Getreide für Menschen, nicht als Tierfutter
Bundesentwicklungshilfeministerin Svenja Schulze hat an die Bürger:innen appelliert, doch bitte weniger Fleisch zu essen. Ein Großteil der Ackerflächen gehe nämlich für den Anbau von Viehfutter drauf – und könne deshalb eben nicht für den Anbau von Getreide genutzt werden.
Die Ministerin hat vorgerechnet: Wenn wir ein Drittel weniger Schweinefleisch produzieren, würde ein Zehntel der gesamten Ackerfläche in Deutschland frei werden. Dort könnten dann fünf Millionen Tonnen Getreide angebaut werden.
"Was bei uns vom Feld in den Futtertrog wandert, kann Menschen auch direkt satt machen. Dafür muss man nicht den Umweg über den Trog und den Tiermagen gehen."
Grundsätzlich gehe diese Rechnung schon auf, sagt Matin Qaim, Agrarökonom an der Uni Bonn. Was bei uns von den Feldern in den Futtertrog wandere, könne stattdessen zum Großteil auch direkt von Menschen konsumiert werden und sie satt machen. Der Großteil von dem, was an Tiere verfüttert werde, sei Getreide, das man sofort auch als Lebensmittel nutzen könnte.
Langfristig: Tierbestände müssten reduziert werden
Das Problem sei aber, dass die Tierbestände ja nun mal da sind – und dementsprechend auch gefüttert werden müssten. Man könne sie ja nicht einfach verhungern lassen. Zudem hätten die Bauern in ihre Ställe investiert, man könne sie nicht auf den Schulden sitzen lassen.
Kurzfristig sei es zwar möglich, die Futterrationen ein wenig umzustellen – mehr Grünfutter und weniger Getreide. Wirklich spürbar etwas gewinnen werde man aber nur, wenn man die Tierbestände reduziere. Genau das aber brauche Zeit – ganz zu schweigen davon, dass sich natürlich auch die Verbrauchergewohnheiten nicht von heute auf morgen umstellen lassen.
"Die Tierbestände sind ja nun mal da. Man kann sie ja nicht einfach verhungern lassen."
Fleischverzicht sei aber der richtige Weg, da gebe er der Ministerin recht, so Matin Qaim. Er werde aber eben nicht kurzfristig aus der Krise helfen.
Bedrohung für die Betriebe
Aus Sicht der landwirtschaftlichen Betriebe könnte das aktuelle Szenario – im äußersten Fall – auch zu einer existenziellen Bedrohung führen, sagt der Agrarökonom.
Denn viele Betriebe würden überwiegend, zum Teil auch ausschließlich von der Fleischproduktion leben. Wenn die Tierbestände massiv reduziert werden, falle das Einkommen dieser Menschen weg. Das müsse man im Blick haben. Eine Möglichkeit könnte sein, einen Betrieb umzustellen und in anderer Form weiterzuführen.
An mehreren Stellschrauben drehen
Um in der Kriegssituation aus der Krise zu kommen, müsse auch noch an anderen Stellschrauben gedreht werden, sagt Matin Qaim – zum Beispiel im Bereich Biosprit: 12 Millionen Tonnen Getreide würden jedes Jahr allein in Europa zu Bioethanol verarbeitet. Auch daran müsse kurzfristig etwas verändert werden. Auf dem Ohr sei die Politik aber leider noch etwas taub.
"12 Millionen Tonnen Getreide werden jedes Jahr allein in Europa zu Bioethanol verarbeitet."
Eine weitere Möglichkeit: mehr Getreide produzieren, indem stillgelegte Flächen wieder in die Produktion genommen werden. Das werde in Europa auch gerade diskutiert, um temporär zu helfen. Langfristig sollte man das aus ökologischen Gründen aber nicht tun, sagt der Agrarökonom.
Hier könnt ihr euch eine Vorlesung von Matin Qaim an der Uni Göttingen anschauen. Ihr Thema: "Welternährung und Fleischkonsum" .