Wahlentscheidungen so fest wie Stahlbeton? Das war einmal. Heute entscheiden sich viele Menschen erst auf den letzten Drücker, wer ihre Stimme bekommt.
Heute sind die Wahlentscheidungen vor allem bei jungen Wählern fluider. Die Entscheidung, welcher Direktkandidat und welche Partei das Kreuzchen bekommt, fällt oft erst kurz vor dem Stichtag. Auch bei der Landtagswahl in NRW zeigte sich wieder ein drastischer Umschwung. Lagen in den Umfragen vor der Wahl Hannelore Kraft und die SPD lange in Führung, überraschte dann am Wahltag ein ganz anderes Ergebnis.
Schwer vorhersagbare Wahlen
Lieber abwarten - dieser Devise folgen immer mehr Spätentscheider, haben die letzten Wahlen in Deutschland gezeigt.
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat das bereits 2014 nahegelegt: Demnach machen Wähler zwischen 19 und 32 Jahren ihre Wahlentscheidung eher von aktuellen Themen und individuellen Bedürfnissen abhängig.
Thostens Faas, Wahlforscher an der Universität Mainz, sagt, dass die situativen Umstände, die den Wahltag prägen, wichtiger werden und dass Wahlen insgesamt schwerer vorhersagbar sind.
"Der Anteil der Menschen, die sich in den letzten Tagen oder erst am Wahltag entscheiden, ist deutlich größer geworden."
Hintergrund dieses Wechsels im Wahlverhaltens ist eine grundsätzliche Einstellung zum Wählen: "Im Gegensatz zu vor zehn oder 20 Jahren ist für viele Menschen heute gar nicht mehr so klar, ob sie überhaupt an der Wahl teilnehmen", erklärt Thorsten Faas. Damit wird umso bedeutender, wer die Unentschlossenen noch auf den letzten Metern mobilisieren kann.
Aber auch die jungen Wähler finden sich oft unter den Spätentscheidern. Der Grund, so der Wahlforscher:Sie hätten häufig eben noch keine so intensive Bindung an bestimmte Parteien und würden so beweglicher agieren, wenn es um die Wahlentscheidung geht.
"Die weniger Interessierten sind eher anfällig für Impulse in die ein oder andere Richtung. Und die sind es dann häufig, die die Wahl am Ende entscheiden."
Kalkulierbarer sind die Politikinteressierten, die sich lange mit den Themen befassen. Entscheidend aber könnten jene sein, die weniger interessiert sind. Sie lassen sich auch adhoc noch dadurch beeinflussen, was auf der Arbeit passiert oder wie die letzten Wahlprognosen aussehen.
Die große Masse muss das gar nicht sein, sagt Thorsten Faas. Oft reichen schon einige Prozentpünktchen, um einen Umschwung herbeizuführen. "Und das haben wir auch in diesem Wahljahr schon erlebt", so der Politikwissenschaftler.
Kopf-an-Kopf-Rennen
Diskutiert wurde nach der SPD-Schlappe auch, ob die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz zu früh verkündet wurde, sodass die positiven Effekte schon verpufft gewesen seien. Für Thorsten Faas geht diese Rechnung nicht so einfach auf.
Er sagt, auch ein anderer Aspekt an der Sache müsse beachtet werden: So müssten auch das Wahlkampfteam und die Partei früh wissen, hinter wem sie sich mit welchem Programm aufstellen, um einen guten Wahlkampf zu liefern.
Am Wahltag selbst dürfen die Parteien in Deutschland nach alter Tradition nicht mehr werben. So haben auch die unentschlossen Wähler am entscheidenden Tag eine Auszeit vom allgemeinen Wahlkampfpoker und können dann "in Ruhe ihre eigenen Entscheidungen treffen", sagt Thorsten Faas.