Wie der Wettlauf zwischen Impfungen und Ausbreitung von Sars-CoV-2 ausgeht, lässt sich kaum vorhersagen, sagt die Physikerin Viola Priesemann. Sie appelliert an unsere Testbereitschaft nach den Ferien.
Wie wir uns zum aktuellen Zeitpunkt in der Pandemie verhalten sollen, da sind sich viele uneinig. Angesichts der Deltavariante von Sars-CoV-2 finden die einen volle EM-Stadien besorgniserregend, andere hingegen gehen davon aus, dass die Risikogruppen ausreichend Immunität aufgebaut haben und finden die Lockerungen vertretbar.
Fakt ist: Die Inzidenzen sind gegenwärtig niedrig, aber die Deltavariante ist infektiöser und hat eine etwa doppelte Hospitalisierungsrate verglichen mit der Alphavariante. Sehr wahrscheinlich wird Delta in Deutschland in absehbarer Zeit die dominante Variante werden.
Die Physikerin Viola Priesemann geht davon aus, dass über die Hälfte der Fälle momentan auf die Delta-Variante von Sars-CoV-2 zurückzuführen sind. (Stand 29.06.2021) Sie ist spezialisiert auf Modellierung, also auf mathematische Modelle, die zur Systematisierung und Beschreibung des Pandemiegeschehens eingesetzt werden können und leitet am Max-Planck-Institut die Forschungsgruppe für Dynamik und Selbstorganisation.
Teilimpfung als Risiko
Die Deutsche Gesellschaft für Virologie nimmt an, dass die erste Impfdosis mit Biontech/Pfizer und Astra-Zeneca nur in rund 33 Prozent der Fälle vor Erkrankung an Covid-19 schützt. Um das Pandemiegeschehen nach der Urlaubszeit besser einschätzen zu können, sollten sich Rückkehrende systematisch testen lassen, sagt Viola Priesemann, weil sich die Infektionszahlen dann präziser hochrechnen lassen.
"Aus der Sicht der Modellierung wäre es sehr hilfreich, wenn Menschen, die in den Urlaub fahren, sich in den zwei Wochen danach relativ regelmäßig testen."
Gerade beobachten wir einen Wettlauf zwischen Impffortschritt und Ausbreitung, sagt die Physikerin.
Geimpft und ansteckend
Der Schutz vor einem schweren Verlauf und der Schutz vor Übertragung sind die beiden zentralen Aspekte einer Impfung gegen Covid-19, sagt Viola Priesemann. Beides müsse bedacht werden. Sie erinnert daran, dass auch Geimpfte Sars-CoV-2 weitergeben können. Für Ungeimpfte oder solche Menschen, bei denen der Impfschutz mangelhaft ist, sei das dann ein Problem.
Gut sei allerdings, dass die Fallzahlen in England sich zurzeit nur zweiwöchentlich verdoppeln, auf einem eher niedrigen Niveau.
"Es dauert eine ganze Weile, bis man an den Punkt kommt, wo die Inzidenz wieder so kritisch ist, dass die Intensivstationen voll werden könnten."
Trotzdem rechnet Viola Priesemann mit einer kritischen Phase im Herbst, jedenfalls wenn die Maßnahmen erhalten bleiben und keine drastischen Ereignisse eintreten. Die Physikerin warnt: Das Auftreten einer Immun-Escape-Variante von Sars-CoV-2 könne den Pandemieverlauf schon früher drastisch zum Schlechten verändern. Insgesamt seien aber für präzisere und langfristige Vorhersagen zu viele Faktoren unbekannt.
"Da sind so viele Faktoren aus der Virologie, die wir nicht gut kennen, dass die Unsicherheiten bei Vorhersagen sehr, sehr groß sind."
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