Können Tiere trauern? Unter Forschenden bleibt das umstritten. Aber welche Anzeichen es dafür gibt, erklärt der Biologe Mario Ludwig.
Verhalten, das auf eine Art von Trauer hinweisen kann, wurde bei Tieren schon häufig beobachtet. Zum Beispiel berichtet der schottische Primatenforscher James Anderson darüber, was sich 2008 in einem Safaripark in Großbritannien zugetragen hat.
Damals wurde beobachtet, wie eine Gruppe von mehreren Schimpansen eine gerade gestorbene Artgenossin zärtlich streichelte und immer wieder versuchte, sie wachzurütteln. Anschließend seien die Affen in eine tiefe Lethargie verfallen, sagt der Biologe Mario Ludwig.
Forschende haben außerdem bei vielen Affenarten beobachtet, dass die Mütter ihre toten Kinder noch wochenlang mit sich herumtragen und sich zärtlich und fürsorglich um sie kümmern, als wären sie noch am Leben.
"In der Wissenschaft ist strittig, welche Qualität diese animalischen Emotionen haben. Man muss klar unterscheiden, ob ein Tier um einen verstorbenen Gefährten 'trauert', weil es jetzt allein ist, oder ob ein Tier sogar 'Mitleid' empfinden kann."
Nach neueren Erkenntnissen trauern auch andere intelligente Tiere um verstorbene Artgenossen, zum Beispiel Wale, erklärt Mario Ludwig: Sie berühren den verstorbenen Artgenossen oder die Artgenossin behutsam mit den Flossen. Sie schmiegen sich an das tote Tier an und tragen es mithilfe des Rückens oder des Mundes. Manchmal bringen sie den Kadaver sogar an die Wasseroberfläche.
Am häufigsten geschieht das bei Tieren, die eng verwandt sind oder schon lange zusammengelebt haben. Diese Zeichen von Trauer konnten Wissenschaftler der Universität Mailand bisher bei sechs Walarten beobachten, zum Beispiel Orcas und Pottwalen.
Gorillaweibchen Koko "trauert" um verstorbene Katze
Ein anderes Beispiel ist Koko, ein Gorillaweibchen, das in einer wissenschaftlichen Einrichtung in den USA gelebt hat. Im vergangenen Jahr ist sie verstorben.
Forschende hatten Koko die "American Sign Language" (ASL) beigebracht - eine Zeichensprache, die vor allem gehörlose Amerikaner nutzen. Damit konnte Koko mit den Betreuerinnen und Betreuern kommunizieren.
Koko hatte ein eigenes Haustier - eine Katze. Nachdem die Katze von einem Auto überfahren wurde, hat das Gorillaweibchen ihren Pflegern und Pflegerinnen wochenlang die Gebärdenzeichen für Trauer und Weinen mitgeteilt.
Qualität der tierischen Emotionen umstritten
Inzwischen sind sich die Verhaltensforscher darüber einig, dass Tiere über eine ganze Reihe von Emotionen verfügen. Klar ist aber noch nicht, ob diese Gefühlsregungen mit menschlichen Emotionen vergleichbar sind.
In der Wissenschaft ist weiterhin strittig, welche Qualität diese animalischen Emotionen haben. Man müsse klar unterscheiden, ob ein Tier um einen verstorbenen Gefährten 'trauere', weil es jetzt allein ist, oder ob der noch lebende Artgenosse tatsächlich 'Mitleid' empfinden könne.
In der Forschung überwiegt die Meinung, dass Tiere kein Mitleid empfinden können, weil Mitleid die Fähigkeit voraussetze, dass ein Lebewesen sich in ein anderes hineinversetzen kann.
Wahrscheinlich nur Menschenaffen und wenige andere Tierarten, wie etwa Elefanten, seien dazu fähig, fasst der Biologe Mario Ludwig zusammen. Anderen Tierarten seien diese Emotionen nur schwer zuzutrauen. Trauer bei Tieren sei demzufolge eher als Trauerschmerz beziehungsweise die Angst vor dem Alleinsein zu begreifen.
Verluste und Stress führen zu Hormonausschüttung
Der Verlust von Artgenossen lässt sich bei Tieren auch chemisch nachweisen: Bei Menschen führt Trauer zu einem Anstieg der Stresshormone wie Adrenalin oder Noradrenalin. Das Gleiche wurde auch bei Tieren beobachtet, die durch den Verlust eines vertrauten Artgenossen gestresst waren.
Der Tod eines Gefährten oder gar eines Familienmitgliedes gehe bei Tieren in der Regel mit dem Verlust von Sicherheit einher, sagt Mario Ludwig. Wenn ein Leittier stirbt, kann die dazugehörige Elefantenherde auseinandergehen. Und auch bei Wildgänsen ist bekannt, dass sie ihre Position im Schwarm oft nicht halten können, wenn der Partner verstirbt.
Stress und Verwirrung lassen sich in diesen Fällen in der Hormonausschüttung nachweisen, sagt Mario Ludwig. Trotzdem sollte man diese Gefühlsregungen eher als Verlustangst verstehen, denn als Trauer im eigentlichen Sinne.