Manchmal verletzten uns Menschen so sehr, dass es uns schwer fällt, ihnen zu verzeihen. Psychologe Mathias Allemand erklärt, ob wir das überhaupt müssen, und wie wichtig eine Entschuldigung fürs Verzeihen ist.
Lisa, 24, bezeichnet sich selbst als Person, die anderen gut verzeihen kann. Sie sagt aber auch, es komme darauf an, ob es jemandem leid tut. Und auch darauf, wie oft Dinge im Zusammenhang mit dieser Person schon vorgefallen sind.
"Wenn jemand was Schlechtes macht, was mir wehtut, dann muss ich nicht verzeihen."
Lisa wurde christlich erzogen und sie hat lange geglaubt, dass Vergebung sehr wichtig ist. Mittlerweile sieht sie das anders: "Ich denke verzeihen ist wichtig, weil wir alle Fehler machen. Aber wenn jemand immer wieder über deine Grenzen geht, muss man auch lernen, Grenzen zu setzen und mal nicht zu verzeihen. Das ist etwas, was ich für mich gelernt habe."
Lisa kann ihrer Mutter nicht verzeihen
Lisa hat vor allem eine Person in in ihrem Leben, der sie nicht verzeihen kann: ihre Mutter. Die beiden haben seit mehr als zehn Jahren keinen Kontakt mehr. Lisa bezeichnet sie als narzisstisch. Die Zeit mit ihr habe sie geprägt: "Wenn man mit so einem Elternteil aufwächst, dann ist der Selbstwert schlecht. Es hat sich durch mein Leben gezogen, dass ich ganz schlecht darin bin, Grenzen zu setzen. Weil ich durch sie gelernt habe, dass meine Grenzen sowieso immer übertreten werden."
Beziehungsmuster wiederholt sich
Ihre Erfahrungen mit ihrer Mutter haben sich später auch in Freundschaften oder Liebesbeziehungen widergespiegelt, erzählt Lisa. Sie sagt, sie habe immer wieder Leute über ihre eigenen Grenzen gehen lassen, weil sie dachte, sie muss diesen Menschen verzeihen. Lisa sagt, dass sie sich auch oft Freundinnen ausgesucht hat, die ihrer Mutter ähneln: "Um mich immer wieder in die gleichen, schlechten Muster zu werfen, um zu beweisen, dass ich liebenswert bin."
"Ich kann meiner Mutter nicht verzeihen, wie sie mich geprägt hat."
Lisa beschreibt, dass sie Leuten erst dann nicht mehr verzeiht, wenn es wirklich nicht mehr geht - "und das Fall voll ist." Sie arbeitet aber daran, dass es erst gar so weit kommt und sie früher Grenzen setzen kann. Deshalb macht Lisa eine Therapie. "Wenn ich da so eine objektive Meinung bekomme, tut mir das gut. Vielleicht auch bestärkt zu werden: Du kannst da Grenzen setzen oder du kannst so damit umgehen", erzählt Lisa.
"Brauche eine Entschuldigung, um zu verzeihen"
Was Lisa auf jeden Fall braucht, um Personen überhaupt verzeihen zu können: eine Entschuldigung. "Wenn ich das Gefühl habe, da ist keine Reue und es tut dieser Person nicht aufrichtig leid, dann sehe ich auch keinen Sinn dahinter, dieser Person zu verzeihen. Das ist mir wichtig, um zu beweisen, dass es nicht meine Schuld war."
Hat Gen Z anderes Verhältnis zum Verzeihen?
Die Generation Z ist die erste Generation, die mit sozialen Medien aufgewachsen ist. Haben diese also auch Einfluss darauf, wie hoch unsere Bereitschaft ist, zu verzeihen? Maike Braun ist Kommunikationspsychologin und der Meinung, Social Media kann uns helfen, besser im Verzeihen zu werden – und zwar indem wir Content konsumieren, der unterschiedliche Blickwinkel auf Themen zeigt.
"Was wir auf Social Media mitnehmen können, ist, andere Blickwinkel einzunehmen. Wir können erfahren, wie sich andere Menschen in ähnlichen Situationen fühlen."
Als Beispiel nennt die Expertin Posts im Netz zum Thema "Am I the Asshole?", wo Leute von ihren Erfahrungen berichten und wissen wollen, ob sie sich richtig verhalten haben oder nicht. Aus diesen Ratschlägen können wir viel mitnehmen, findet die Kommunikationspsychologin: "Da gibt es auch Posts, wo es darum ging, wie Personen Konflikte beigelegt haben, wie sie verziehen haben, wie sie damit umgegangen sind und vielleicht auch einfach darüber geredet haben."
Verzeihen ist gar nicht so leicht
Verzeihen ist ein Loslassprozess, der nichts mit unserem Gegenüber zutun hat, sondern nur mit uns selbst, sagt der Psychologe Mathias Allemand. Egal, ob ungerechtes Verhalten, eine Kränkung oder negative Erlebnisse, verursacht durch andere Menschen – jede und jeder Einzelne muss lernen, mit diesen belastenden Gefühlen umzugehen, so der Experte.
Er sagt, dass es nicht leicht ist zu verzeihen: "Es braucht Energie. Verzeihen ist etwas, was nicht passiv abläuft. Ich muss mich mit der Kränkung oder Verletzung zunächst mal auseinandersetzen. Ich muss akzeptieren, dass ich starke Gefühle habe."
"Verzeihen bedeutet die bewusste Auseinandersetzung mit Erinnerungen und Verhaltensweisen – und das braucht Zeit."
Der Psychologe sagt auch, dass es sich lohnt, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Also etwa zu hinterfragen: Warum hat mich eine Person verletzt? "Es könnte nämlich sein, dass die Person in der Hitze des Gefechts etwas gesagt hat, das sie nicht absichtlich gemeint hat", so Mathias Allemand. Versuchen zu verstehen, weshalb man gekränkt wurde, kann also im Prozess des Verzeihens helfen.
Es gibt aber auch Situationen, da funktioniert das nicht, findet der Psychologe. "Es gibt extrem schlimme Kränkungen und Verletzungen, da macht es meines Erachtens nicht so viel Sinn, sich in die andere Person hineinzuversetzen."
Einige Leute sind nachtragender als andere
Ein anderer Aspekt ist: Wie nachtragend sind wir? Da gibt es dem Psychologen zufolge tatsächlich Menschen, die beispielsweise Kränkungen schneller loslassen als andere. Das sei aber in der Persönlichkeit des Menschen verankert und lasse sich nur zu einem gewissen Grad und nur sehr schwer ändern.
Es braucht keine Entschuldigung, um jemandem zu verzeihen
Studien zeigen: Wenn Menschen sich für Kränkungen oder persönliche Verletzungen entschuldigen, dann sind Menschen eher bereit, in den Prozess des Verzeihens einzusteigen, erklärt Mathias Allemand. Er sagt aber auch, dass es in erster Linie wichtig ist, auf das eigene Wohlbefinden zu schauen, wenn man gekränkt wurde. Denn in einigen Situationen seien Entschuldigungen auch gar nicht möglich, etwa wenn die andere Person sich keiner Schuld bewusst ist oder bereits verstorben ist.
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