Bei Lili hat es mit einem Anker angefangen und mit Zahn und Qualle nicht aufgehört. Sie entscheidet nach Gefallen. Zwischen Schmuck, Lebensgeschichte und Fandom: ein Tattoo will immer etwas konservieren, sagt der Soziologe Oliver Bidlo.
Bereits mit zwölf Jahren war Lili von Tattoos fasziniert, sagt sie. Ihr erstes Tattoo, einen Anker, hat sie sich dann mit 19 Jahren zusammen mit Freundinnen in Thailand zum Zeichen der gegenseitigen Verbundenheit stechen lassen. Damit war die erste Schwelle überwunden, so Lili. Seitdem seien viele Tattoos dazugekommen. Anfangs habe sie noch sehr lange über das nächste Tattoo nachgedacht, bei kleineren Tattoos entscheide sie mittlerweile teils recht spontan.
Tattoo – Ästhetik und Selbstausdruck
Tattoos haben für Lili heute nicht mehr zwingend eine spezielle Bedeutung, im Vordergrund stehen vor allem Ästhetik und der Selbstausdruck, sagt sie – ähnlich wie bei Schuhe oder Schmuck, den Menschen tragen.
"Mittlerweile ist es oft nur noch das Ästhetische, dass es einfach gefällt. Und es ist ja auch irgendwie eine Art Selbstausdruck, genauso wie bei den Klamotten, die man trägt, Schmuck oder Make-up."
Lili bereut keines ihrer vielen Tattoos, sagt sie. Manche Motive würden heute zwar nicht mehr ganz ihrem Stil entsprechen, aber es sei halt Teil des Deals, dass Tattoos für die Ewigkeit gestochen werden. Meist habe sie ihre Motive aber auch so gewählt, dass sie vom Stil her möglichst zeitlos bleiben.
Allerdings lässt Lili sich in Kürze ein Tribal stechen, ähnlich wie es in den 90er Jahren modern war. Fast hätte sie sich sogar für ein Arschgeweih entschieden, sagt sie. Den Platz auf ihrem Rücken wollte sie dann aber lieber für ein anderes großes Motiv frei lassen.
Das erste Motiv mit Edding aufmalen
Wer sich zum ersten Mal ein Tattoo stechen lassen möchte, dem rät Lili, sich ausreichend Zeit für das Motiv zu nehmen und vielleicht auch eine nicht so prominente Stelle zu wählen. Helfen bei der Entscheidung könne auch, das Tattoo erst mal mit Edding auf die Haut zu malen, um ein erstes Gefühl für das Motiv zu bekommen. "Ich habe die mir früher auch immer einfach so aufgemalt. Und da hatte ich auch manchmal welche, die fand ich nach einem Monat dann doch scheiße", sagt Lili.
Tattoo - Schmuck, Biografie, Begeisterung
Dass Menschen sich Tattoos stechen lassen, dafür gibt es drei Hauptgründe, sagt Oliver Bidlo, der Soziologie und Kommunikation an der Fachhochschule Düsseldorf lehrt und zu dem Thema forscht: das Tattoo als eine Art Schmuck, das Tattoo als Erinnerung an ein Lebensereignis und das Tattoo als Ausdruck der Begeisterung – zum Beispiel für eine Band, einen Verein oder eine Gemeinschaft.
"Ein Tattoo will etwas konservieren, ein Gefühl, eine Überzeugung oder ein Ereignis."
Tattoos wollen ein Gefühl, eine Überzeugung oder ein Ereignis konservieren, sagt Oliver Bidlo – und das nicht nur für einen Tag oder eine Woche, sondern in der Überzeugung, dass es ein Leben lang gilt.
Die 90er Jahre als Zeitenwende
Darüber hinaus hätten Tattoos auch einen inszenierenden, theatralen Charakter. "Ein Tattoo will gesehen werden und vielleicht auch so etwas wie Fragen anstoßen", sagt Oliver Bidlo. Das gelte auch für Intim-Tattoos, wenngleich der Kreis der Rezipienten hier extrem eingeschränkt sei.
"Ein Tattoo will gesehen, will rezipiert, will wahrgenommen werden, will vielleicht auch so etwas wie Fragen anstoßen."
Das Tattoos heute Mainstream sind, liege vor allem an den Entwicklungen der 90er Jahre. Stars und Sternchen hätten angefangen, ihre Tattoos offen zu zeigen und damit zum Nachahmen angeregt.
Die 90er-Jahre, mit der an Fahrt aufnehmenden Globalisierung, der Wiedervereinigung und später dem Euro, sei zeitgleich auch eine Dekade des Wandels gewesen. "Genau in der Zeit stellt das Tattoo plötzlich das Gegenteil dar. Es bietet einen Schutz vor Veränderungen, ist ein Anker, das bleibt bestehen, egal wie die Zeit sich verändert", so der Soziologe.
Je mehr Menschen tätowiert seien, umso mehr werde das Besondere und Individuelle der gestochenen Motive ausgehöhlt. In der Szene habe es deshalb vor einiger Zeit Gegenbewegungen gegeben.
Das eine sei der sogenannte Ignoranz-Style, bei dem sich Menschen absurd triviale Sachen stechen lassen, eine Gurke oder einen Apfel zum Beispiel, um bedeutungsschweren Motiven Ignoranz entgegenzusetzen, sagt Oliver Bidlo. Das andere seien Tattoos auf Stellen am Körper, die auch heute noch als grenzwertiges betrachtet werden – die Hände, der Hals oder das Gesicht zum Beispiel.
Meldet euch!
Ihr könnt das Team von Facts & Feelings über WhatsApp erreichen.
Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?
Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an factsundfeelings@deutschlandradio.de.
Wichtig: Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei WhatsApp die Datenschutzrichtlinien von WhatsApp.
- Lili plant vielleicht noch ein großes Back-Piece. Grundsätzlich entscheidet ihr Geschmack über ihre Tattoos.
- Oliver Bidlo, lehrt Soziologie der Kommunikation an der Fachhochschule in Düsseldorf