Bootsunglücke mit dutzenden Toten im Mittelmeer sind nicht selten und Zeichen einer gescheiterten europäischen Asylpolitik. Juristin Pauline Endres de Oliveira und Richter Stephan Bitter berichten über die unsicheren Einreisewege, unklare Rechtsvorschriften – und welche Lösungen es dafür geben könnte.
Reicht unser derzeitiges Flüchtlingsrecht aus, um in Zukunft mit dem Ansturm von Klimaflüchtlingen fertig zu werden? Oder nimmt das Chaos rund um die unterschiedlichen Schutzformen und Auslegungen sogar noch zu? Diesen Fragen geht der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt, Stephan Bitter nach. Wie Geflüchtete aus einem unsicheren Land zu uns kommen, ist nicht geregelt. Es zeigt, wie der Geflüchtetenschutz immer deutlicher an seine Grenzen kommt.
Asyl zu vergeben, heißt Verantwortung zu übernehmen
In seiner Einführung stellt Stephan Bitter die entscheidende Frage: Wenn wir in Deutschland die Umwelt in den vergangenen Jahrzehnten so umfassend verschmutzt und zum Klimawandel beigetragen haben, müssten wir dann nicht auch - nach dem Verursacherprinzip - Menschen aufnehmen, die durch die Folgen bedroht sind?
Ansätze einer solchen Verantwortung, seien in der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik allerdings immer noch nicht erkennbar. Dabei sei es höchste Zeit dafür, meint der Jurist.
"Der Klimawandel bedroht nicht nur einzelne Inseln im Pazifik, sondern wird weltweit zu erheblichen Migrationsbewegungen führen."
Ein weiteres Problem ist: Nur Menschen, die tatsächlich in Europa ankommen, können in aller Regel einen Asylantrag stellen. Wie sie allerdings dorthin kommen sollen, ist rechtlich nicht geregelt. Die Rechtsanwältin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Pauline Endres de Oliveira erklärt, dass einzig der Reiseweg über den Schutzstatus entscheidet.
Die Juristin verweist darauf, dass die weltweit meisten Geflohenen sogenannte Binnenflüchtlinge sind. Das liegt daran, dass sichere und legale Einreisewege in andere Staaten fehlen. So gebe es kein Recht auf Einreise in ein bestimmtes Land, um Asyl zu erhalten.
"Gleichzeitig wird durch Maßnahmen der Verhinderung - der Migrations- und Grenzkontrollen - effektiv ausgeschlossen, dass Menschen die EU erreichen."
Im Vortrag schlägt Pauline Endres de Oliveira vor, wie die rechtlichen Unstimmigkeiten gelöst werden könnten. So wäre es etwa möglich, dass Fluchtwillige schon in den ausländischen Botschaften ihrer Heimatländer Asylanträge stellen.
Die Refugee Law Clinic Gießen hat im Jahr 2022 ihr 15-jähriges Bestehen gefeiert. Aus diesem Anlass fand am 1.12.2022 eine Tagung mit öffentlichen Vorträgen über die umstrittene Flüchtlingspolitik statt. Darunter auch die Vorträge von Stephan Bitter und Pauline Endres de Oliveira. Beide lehren zudem an der Refugee Law Clinic, die zur Justus-Liebig-Universität Gießen gehört. Bitter machte die Einführung in die Thematik, Endres de Oliveiras Vortrag lautete: "Komplementäre und alternative Wege zum Schutz in Europa".