Für Emily ist Zeit eher wie eine Welle. Ihr fällt es schwer, pünktlich zu sein - dafür kommt sie bei längeren Aktivitäten besser in den Flow. Therapeutin Mila Ould Yahoui erklärt, woran das liegt und gibt Tipps, wie der strukturierte Alltag trotzdem gelingt.
Für einen Zahnarzttermin stellt sich Emily zwei Reminder in ihrem Kalender: Einen eine Halbestunde vorher und noch einen eine Viertelstunde vorher: "So funktioniert das dann bei mir", sagt sie. Emily hat Schwierigkeiten damit, pünktlich zu sein und verspätete sich häufig. Sie hat sich angewöhnt, zwischen wichtigen und weniger wichtigen Terminen zu unterscheiden.
Für ihren Hang zur Unpünktlichkeit gibt es einen medizinischen Grund. Bei ihr wurde ADHS diagnostiziert. Es fällt ihr schwer, aufmerksam und gut organisiert zu sein. Sie hat auch ein anderes Zeitgefühl als die meisten Menschen.
"Zeitblindheit heißt das. Für mich ist Zeit nicht wie für andere Leute. Bei mir ist es eher wie eine Welle."
Termine, die mit Zahlungen verbunden sind und bei denen bei Unpünktlichkeit ein negativer Impact droht, die kann Emily schon priorisieren. "Da versuche ich, echt pünktlich zu sein", sagt sie.
Vorbereitungen für die Pünktlichkeit
Auch im Rahmen ihrer therapeutischen Behandlung hat Emily gelernt, genauer auf ihre individuelle Zeitwahrnehmung zu achten. Außerdem versucht sie, Termine vorzubereiten: Durch das Packen der Sporttasche im Vorhinein, durch das Zusammensuchen von Dokumenten für einen Amtstermin zum Beispiel.
"Ich versuche tatsächlich, mir wichtige Termine in den Vormittag zu legen."
Ihr ist außerdem aufgefallen, dass es ihr vormittags leichter fällt, sich nach der Uhrzeit zu richten. Manche zeitlich fixierten Aufgaben legt sie sich deswegen lieber auf die Vormittagsstunden.
Pünktlichkeitsfetisch auf dem Rückzug
Allgemein ist der gesellschaftliche Pünktlichkeitsanspruch in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland schon deutlich erodiert, findet der Psychologe Ulrich Ansorge. Er lehrt an der Universität Wien.
"Früher galt die deutsche Kultur als extrem pünktlich. Für mein Gefühl, in den 50, 60 Jahren, die ich jetzt über den Planeten laufe, hat sich das extrem gewandelt."
Als einige der schwerwiegenderen Gründe für Unpünktlichkeit nennt er:
- Schwierigkeiten bei der Konzentrationsfähigkeit, also Ablenkbarkeit als Problem
- Grundsätzlich Schwierigkeiten mit Organisation und Planung, also Impulsivität als Problem
An beiden Neigungen könne man sich durchaus das ganze Leben lang abarbeiten, sagt Ulrich Ansorge.
Wenn Termine im Chaos untergehen
Mila Ould Yahoui ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. Auch sie kennt Pünktlichkeitsprobleme aus dem beruflichen und privaten Alltag. Boshaftigkeit wird wohl nie der Grund sein, sagt sie. Hektik, Chaos, mangelndes Organisationstalent hingegen schon.
Sie rät dazu, Abläufe notfalls zu verschriftlichen, Termine auf schräge
Uhrzeiten zu legen und gegebenenfalls im Vorfeld eines Treffens den
Standort zu teilen.
"Wenn ich merke, dass es doch nicht so gut funktioniert, wie ich es gerne hätte, dann müsste man es halt einfach mal verschriftlichen."
Menschen mit ADHS fühlen Zeit tatsächlich anders. Ihnen helfen Visualisierungen, also Listen oder Mindmaps und Pläne und Erinnerungen von außen – so wie Emily sie bereits in ihrem Alltag fest etabliert hat.
"Für Menschen mit ADHS gibt es eigentlich genau zwei Zeitpunkte: Jetzt und Nicht-Jetzt."
Meldet euch!
Ihr könnt das Team von Facts & Feelings über WhatsApp erreichen.
Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?
Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an factsundfeelings@deutschlandradio.de.
Wichtig: Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei WhatsApp die Datenschutzrichtlinien von WhatsApp.