Arik Weismann hat seine Berliner Wohnung nach Kriegsbeginn in der Ukraine für Geflüchtete geöffnet: Seitdem haben mehr als 50 Menschen bei ihm gewohnt. Ein halbes Jahr später sind sie zu einer Familie geworden.
Arik ist Multimedia-Künstler und arbeitet gleichzeitig als Elektroingenieur in Berlin. Er hat am ersten Tag, an dem der russische Angriffskrieg in der Ukraine begonnen hat, Urlaub genommen, um den täglich ankommenden Menschen zu helfen. Seit diesem Tag hilft er jeden Abend am Berliner Busbahnhof dabei, die Geflüchteten in Empfang zu nehmen.
Arik wohnt in einer 103-Quadratmeter-Wohnung in Charlottenburg. Schon vor ein paar Monaten hatte er überlegt, dass es schöner wäre, noch ein paar Mitbewohner zu haben. Als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, ist ihm die Entscheidung leicht gefallen. Inzwischen wohnen 14 Geflüchtete und ein kleiner Mischlingshund bei ihm.
Menschen, die er bei sich nicht unterbringen kann, vermittelt er Schlafplätze und Zimmer in den Wohnungen seiner Freunde oder Kollegen.
Verwandte, Freunde und ein paar Menschen, die Arik zuvor nicht kannte
Die meisten der Menschen, die Arik hier aufgenommen hat, sind seine Verwandten und Freunde: Sein Bruder, dessen Frau, sein bester Freund und dessen Söhne. Alle kommen aus Ariks Heimatstadt Ternopil im Westen der Ukraine, aus der er selbst 2008 ausgewandert ist.
Ein paar Flüchtlinge kennt der 40-Jährige erst, seitdem sie bei ihm wohnen. Er hat sie als Helfer am Berliner Busbahnhof in Empfang genommen. Eine der Geflüchteten ist die 21-jährige BWL-Studentin Masha. Sie wohnt seit zwei Wochen hier und schläft wie die meisten anderen auf einer Luftmatratze.
Flucht hat geklappt, weil Masha in einen früheren Zug gestiegen ist
Masha hatte nur 15 Minuten Zeit, um ihre Sachen in Kiew zu packen, ihre Eltern hatten Angst um sie und haben ihr ein Zugticket nach Polen gekauft, erzählt sie. Nimm das Ticket und fahr bitte, hatten ihre Eltern zu ihr gesagt.
Mashas Zug, den sie nehmen wollte, um aus ihrer Heimat zu fliehen, wäre eigentlich um 11 Uhr losgefahren. Sie hatte großes Glück, dass sie einen früheren Zug genommen hat, weil der Bahnhof kurz nach ihrer Abfahrt von einer Bombe getroffen wurde. Sie ist erst nach nach Lwiw gereist, dann nach Krakau und von dort aus weiter nach Berlin.
"Ich organisiere die Unterbringung für all die Leute – wenn die Regierung schon nicht hilft, sollte sie uns wenigstens machen lassen. Es ist ja nicht legal, so viele Leute in der Wohnung zu haben – also hoffentlich machen uns die Behörden keinen Ärger, das wäre auch schon eine Hilfe."
Manche Geflüchteten wohnen nur wenige Tage oder Wochen bei Arik. Seine Verwandten und Freunde bleiben länger. Bei so vielen Menschen in einer Wohnung gibt es viel zu organisieren.
Täglich besprechen sich alle. Wer mit dem Einkaufen, Putzen oder Kochen dran ist, wird in einem Plan notiert. Kurze Absprachen oder Informationen, die für alle wichtig sind, werden in einem gemeinsamen Telegram-Chat ausgetauscht.
Die behördliche Anmeldung haben alle zusammen gemacht, weil das recht kompliziert ist, erzählt Arik.
Eigentlich ist es rechtlich nicht erlaubt, dass so viele Menschen in einer Wohnung dieser Größe zusammenwohnen. Arik hofft, dass die Behörden kulant sind und die Geflüchteten weiterhin alle bei ihm wohnen können.
Ein halbes Jahr später
Ein halbes Jahr später ist die Wohnung von Arik so leer wie lange nicht mehr. Sein Bruder, dessen Frau Tanja und Masha leben weiter bei Arik. Wie viele Menschen insgesamt seit Beginn des russischen Angriffskriegs bei ihm untergekommen sind, kann Arik nur schätzen. Es waren wirklich viele, sagt er, etwa 50 oder 60 Menschen. "In der ganzen Zeit hatten wir nicht einen einzigen Tag ohne einen Gast." Sie alle seien zu einer Art Familie geworden.
Die ersten zwei Monate waren besonders schwer, erzählt Arik. Das lag einerseits an den vielen Menschen, die sich die Wohnung geteilt haben, aber auch an der Organisation und Bürokratie. Arik hat ihnen dabei geholfen, sich in Berlin zu registrieren, hat mit ihnen die Papiere für die Aufenthaltserlaubnis ausgefüllt und auch mit dem Jobcenter alles Nötige geregelt. "Schritt für Schritt haben sie Wohnungen gefunden. Dabei haben auch unsere deutschen Freunde geholfen", sagt er.
Hoffen auf das Kriegsende
Die 21-jährige Masha hat nach kurzer Zeit auch einen Job in einer Brauerei gefunden. Dafür hat sie jeden Tag rund um die Uhr im Netz nach offenen Stellen gesucht. In Ariks Wohnung fühlt sie sich weiter wohl. "Wir sind nicht mehr nur Freunde, sondern wirklich eine Familie geworden. Mit so was hätte ich nie gerechnet", sagt sie.
Ihre tatsächliche Familie ist noch immer in der Ukraine. Mit ihrer Mutter telefoniert Masha drei Mal am Tag. "Ich will einfach wissen, ob alles ok ist", sagt Masha. Sie wacht jeden Tag auf und hofft, dass der Krieg vorbei ist.