Die Journalistin Hadija Haruna-Oelker war an der Übersetzung des Gedichts "The Hill We Climb" von Amanda Gorman beteiligt. Sie sagt: Wir transferieren die Geschichte Schwarzen Lebens in einen anderen Kulturraum.
Die junge schwarze Autorin und Lyrikerin Amanda Gorman ist durch ihr Gedicht bei der Amtseinführung von Joe Biden international berühmt geworden. Ihr Gedicht wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, was zu Diskussionen geführt hat.
Ausgelöst wurden sie durch einen Artikel in einer niederländischen Zeitung. Die Autorin Janice Deul schrieb darin, es sei eine verpasste Chance, dass eine weiße Person dieses Gedicht einer schwarzen Autorin übersetzt. Was daraufhin folgte, war eine wochenlange Debatte über Identitätspolitik, die teilweise auf die Frage verkürzt wurde, ob weiße Menschen Texte von schwarzen Autoren und Autorinnen übersetzen dürfen.
Vor dieser Debatte schon wurde in Deutschland ein Team beauftragt, das Gedicht zu übersetzen, bestehend aus Uda Strätling, Übersetzerin, Kübra Gümüsay, Autorin, und Hadija Haruna-Oelker, Journalistin und Politologin.
Hadija Haruna-Oelker sagt im Gespräch mit Deutschlandfunk-Nova-Moderatorin Diane Hielscher: Es geht am Ende einfach darum, wie ein Text übersetzt wird.
Diane Hielscher: Wie hast du die Debatte um die Übersetzung des Gedichts von Amanda Gorman wahrgenommen?
Hadija Haruna-Oelker: Für mich war das in gewisser Weise symptomatisch für Debatten, die insgesamt laufen. In sozialen Medien und im Feuilleton geht es ganz viel um eine vermeintliche Cancel Culture und um dieses Schreckgespenst Identitätspolitik, die vermeintlich nur von Minderheiten ausgeht. Da hat sich die Frage nach Hautfarben und dem "Dürfen" eingereiht. Das war ein einfacher Reflex anstatt hinzugucken, was eigentlich gesagt wurde. Der niederländischen Autorin Janice Deul ging es erstmal nur um eine vertane Chance. Und sie hat den Literaturbetrieb kritisiert.
Wir haben das Gedicht von Amanda Gorman ja als Dreierteam übersetzt. Wir waren lange vor der Debatte beauftragt worden, hatten unsere Arbeit quasi schon im Sinne Gormans gemacht. Die plötzliche Debatte hat mir dann noch einmal deutlich gemacht, wie schnell das geht, wenn falsche Fragen gestellt werden und es in einem bestimmten Mindset keine Offenheit gibt – was schade ist, weil es im Gedicht von Gorman eigentlich um das Gemeinsame geht.
Diane Hielscher: Die richtige Frage wäre also eher, was diese verpasste Chance bedeutet?
Hadija Haruna-Oelker: Die Frage könnte lauten: Wie sollte ein Text übersetzt werden, der das Thema Perspektiven und Vielfalt mitbringt? Die Literaturwissenschaftlerin Marion Kraft hat dazu spitz gefragt: "Muss man weiß sein, um im Mainstream-Literaturbetrieb wahrgenommen zu werden?" Das ist das Thema. Die Übersetzer*innen-Landschaft ist wie viele andere Bereiche sehr homogen. Das hat viel mit Zugängen zu tun, mit Klassefragen, mit dem Habitus. Wer wird als Übersetzerin wahrgenommen, akzeptiert? Die Aussage, es gäbe keine schwarze Übersetzerinnen, stimmt auch nicht.
Amanda Gorman ist eine besondere Frau, die ein multiperspektivisches Verständnis von Mehrfachdiskriminierung mitbringt. Da hätte man sagen können: Das nutzen wir als Chance. Wir setzen auf diesen Ton und genau deshalb wurden wir angefragt. Deshalb habe ich zugesagt.
Es braucht viel für eine gute Übersetzung, und Übersetzungsteams sind gar nicht unüblich.
Wir transferieren ja auch die Geschichte Schwarzen Lebens und der Sprache darüber vom einen Kulturraum in den anderen. Die Skills, um Lyrik zu übersetzen, hat Uda Strätling mitgebracht. Kübra Gümüşay hat als Mehrsprachlerin das sprachsensible Buch "Sprache und Sein" geschrieben und ich bringe das Wissen über Schwarze Diaspora und Sprache mit. Das heißt, wir waren drei Menschen, die Englisch sprechen und sich vielperspektivisch mit Sprache beschäftigen. Und dazu sind wir unterschiedlich alt.
Diane Hielscher: Wenn man zu dritt übersetzt – das stelle ich mir auch schwierig vor.
Hadija Haruna-Oelker: Ja, ganz klar. Es war für uns quasi ein Labor, ein Experiment. Wir hatten außerdem auch nur zwei Wochen Zeit und mussten uns schnell einigen, wie wir arbeiten. Wir sind Zeile für Zeile durchgegangen und haben über einzelne Wörter diskutiert. Bei einer lyrischen Übersetzung ist zum Beispiel wichtig, Schlüsselwörter zu betonen. Manche Wörter oder Kontexte gibt es im Deutschen auch nicht einfach genauso.
Natürlich ging es auch um Diskriminierungssensibilität, alte und junge Sprache, genderneutrale Sprache. Wie übersetzen wir Worte, die sich auf Merkmale beziehen? Wie übersetzen wir "skinny black girl"? Behindertenfeindliche Sprache war Thema. Der Wunsch von Amanda Gorman war es, diversitätsbewusst zu sein. Wir sollten das Gedicht in die deutsche Sprache übersetzen. Und wir haben in der deutschen Sprache auch Fallstricke.
Diane Hielscher: Ist die Chance, über Diversität im Literaturbetrieb zu diskutieren, vertan worden?
Hadija Haruna-Oelker: Nein, wenn wir jetzt aufhören, über Hautfarben als Kriterium für Jobvergabe zu sprechen, sondern das Wissen über diese Erfahrungswelt und Diversitätsbewusstsein als fachliches Qualitätskriterium ansehen. Wenn wir gemeinsames Aushandeln, Anhören und Ausdiskutieren positiv betrachten und Orte und Strukturen schaffen, wo Gleichberechtigung, Repräsentation und Qualität zusammen funktionieren. Wenn wir uns also mehr Menschen für zum Beispiel Formen wie unsere Übersetzung im Team interessieren. Dann hätte es sich gelohnt.