Jede Woche sterben zwei bis drei Kinder in Deutschland. Weil sie misshandelt werden von ihren Eltern. Die Jugendämter sind mit der Situation überfordert.
Voriges Jahr sind in Deutschland 143 Kinder an den Folgen von Misshandlung gestorben. Und jedes Jahr werden den Jugendämtern mehr Verdachtsfälle gemeldet. Von Kindeswohlgefährdungen ist dann die Rede, dazu gehören Misshandlungen, Missbrauch und vor allem Vernachlässigung. Im Jahr 2016 sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes circa 22.000 Kinder und Jugendliche körperlich, psychisch und sexuell misshandelt worden. Seit 18 Jahren ist Gewalt gegen Kinder verboten.
Zu viel Arbeit für die Jugendämter
Es ist die Aufgabe der Jugendämter, einzuschreiten und den Kindern zu helfen. Doch die Mitarbeiter sind überfordert: Eine Studie der Hochschule Koblenz zeigt, dass sie schlicht zu wenig Zeit haben, um sich um die Familien und die Kinder zu kümmern. "Die Mitarbeiter gehen alle sechs Monate ein Mal in diese Familien rein und haben dann 45 Minuten, maximal 60 Minuten für diese Hausbesuche Zeit", sagt die Journalistin Petra Boberg vom Hessischen Rundfunk, die die Studie analysiert hat.
"Es ist wirklich eine Herausforderung, sich in einer Stunde einen Überblick über die Familienverhältnisse zu schaffen."
Das große Problem ist: Nach ihren Besuchen müssen die Sozialpädagoginnen und Pädagogen die Visite dokumentieren und schriftlich festhalten, was sie gesehen und erlebt haben. Circa zwei Drittel ihrer gesamten Arbeitszeit gehen für diese Papierarbeit drauf. "Da bleibt wahnsinnig wenig Luft für die Arbeit mit den Familien", sagt Petra Boberg.
100 Familien pro Mitarbeiter
Dabei hat jeder Mitarbeiter eines Jugendamtes mehr Familien zu betreuen, als eigentlich machbar. Empfohlen werden 35 Familien pro Mitarbeiter. In manchen Städten in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, in Sachsen, in Niedersachsen und in Berlin ist ein Mitarbeiter für mehr als 100 Familien verantwortlich. Aktuell arbeiten in Deutschland etwas mehr als 13.000 Pädagogen im Sozialen Dienst. Die Koblenzer Studie fordert 16.000 zusätzliche Stellen.
"Die Jugendamtsmitarbeiter sollen besser ausgebildet werden. Denn Kinderschutz ist kein Pflichtfach an den Universitäten."
Und die Verantwortung der Frauen und Männer im Sozialen Dienst ist groß. Sie müssen entscheiden: Kann das Kind in der Familie bleiben oder muss es aus der Familie rausgeholt werden? Bereits eine Ohrfeige gelte als Misshandlung, sagt Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe. Doch sie gehe noch viel weiter bis hin zu gefesselten und verbrühten Kindern, Brandverletzungen und Kindern, die im Winter auf dem Balkon ausgesetzt werden. Solche Fälle wären für die Jugendämter eindeutig - wenn sie sie rechtzeitig entdeckten.
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