Wieder wurden in der Türkei Staatsbedienstete entlassen - diesmal keine Lehrer oder Staatsanwälte, sondern mehr als 9000 Polizisten. Sie verlieren nicht nur ihre Arbeit, sondern sie sind auch noch sozial stigmatisiert.
Seit dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 geht die türkische Regierung immer wieder massiv gegen ihre Gegner und Kritiker vor.
Am Mittwoch (26.04.) nahm die Polizei in der Türkei mehr als tausend mutmaßliche Gülen-Anhänger fest. Außerdem wurden mehr als 9000 Polizisten vom Dienst suspendiert.
"Es gibt in der Türkei über 270.000 Polizeibeamte. Wenn man sich das vor Augen ruft, dann sind 9000 immer noch eine große Zahl, aber trotzdem nichts, was das System ins Straucheln bringt."
Weitere Verdächtige auf der Liste
An vielen zentralen Plätzen stehen in Istanbul inzwischen dauerhaft Polizisten, berichtet Reporterin Luise Sammann.
Die Razzien der letzten Tage sollen in vielen unterschiedlichen Provinzen und Städten stattgefunden zu haben - und es gibt laut Medienberichten noch eine große Liste mit weiteren verdächtigen Personen, die auf dem Radar der Geheimdienste stehen.
"Wir werden in den nächsten Tagen sicher noch von weiteren Razzien zu hören bekommen."
Unbearbeitete Fälle stapeln sich
Hinter verschlossenen Türen, sagt unsere Reporterin, bekommt man zu hören, dass es inzwischen in der Justiz Probleme gebe, alle offenen Fälle zu bearbeiten, eben weil auch so viele Richter und Staatsanwälte unter Erdogan entlassen wurden.
Soziale Stigmatisierung
All diejenigen, die suspendiert wurden, verlieren von heute auf morgen ihr Einkommen, können ihre Familien unter Umständen nicht mehr ernähren, Rentenansprüche werden ihnen versagt. Und: Sie finden auch an anderer Stelle keinen Job mehr. "Wenn man als Terrorverdächtiger da steht, das muss man sich mal vorstellen, was das bedeutet."
"Was ich erlebe, ist, dass die Leute eher still halten und in stiller Verzweiflung hoffen, dass sie irgendwie eine Möglichkeit haben, wieder zurück in den Staatsdienst zu kommen."
Insgesamt gab es in der Türkei seit dem Putschversuch mehr als 120.000 Entlassungen, sagt Luise Sammann. Und sie fragt sich: Wie soll all diesen Leuten Gerechtigkeit widerfahren?
In ihrer heutigen Regierungserklärung schickte Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnende Worte in Richtung Türkei.
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