Die Türkei nutzt die aktuellen Konflikte außerhalb ihrer Landesgrenzen und möchte durch sie zu einer einflussreichen Macht werden, analysiert ARD-Korrespondent Christian Buttkereit aus Istanbul. Dabei gehe es den Menschen im Land selbst schlecht.
Der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien, der Gasstreit mit Griechenland und zuletzt auch der Krieg um die Region Bergkarabach: Die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan mischt bei allen diesen Konflikten mit. Warum?
Sie sind Teil einer größeren Strategie Erdoğans, erklärt ARD-Korrespondent Christian Buttkereit aus Istanbul. Denn: Schon seit Jahren verfolgt Präsident Erdoğan das Ziel, die Türkei zu einem der Big Player unter den Großmächten zu machen. Und dafür braucht er eine gewisse Verhandlungsmasse, so der Korrespondent. Die sei für Gespräche, wie bei dem heutigen EU-Gipfel, entscheidend.
"Wir mischen bei den Konflikten mit und wenn ihr wollt, dass wir friedlich werden, müsst ihr uns entgegenkommen."
Durch Erdoğans Einfluss in akuten Konflikten außerhalb der eigenen Grenzen könne er im Gegenzug Forderungen stellen, die für die Türkei wichtig sind, so Buttkereit. Beim EU-Gipfel geht es dem Präsidenten zum Beispiel um die Visafreiheit der Türkei innerhalb der EU, eine Fortsetzung der Zollunion und auch finanzielle Mittel für die Geflüchteten, die gerade in der Türkei sind.
Das bedeutet: Der türkische Präsident profitiert von den aktuellen Konflikten. Gleichzeitig kann er die türkische Bevölkerung so auch von innenpolitischen Problemen ablenken, sagt Christian Buttkereit. Denn: Die Türkei ist mitten in einer starken Wirtschaftskrise, die die Corona-Pandemie noch verschärft hat.
Auf Stolz und Nationalgefühl setzen
Die Menschen in der Türkei merken die Krise besonders an den hohen Preisen für Lebensmittel oder etwa Restaurantbesuche. Durch die schwache türkische Lira steigen die Preise auf alle importierten Waren. Zwar hat die Nationalbank versucht, die Lira zu stützen, das hat aber nur kurzfristig funktioniert. Jetzt fehlt dem Staat das Geld.
"Es geht vielen Leuten in der Türkei einfach schlecht und da ist so eine Kriegsspielerei im Kaukasus ein gewisses Ablenkungsmanöver", erklärt er. Gerade im Konflikt um Bergkarabach appelliert die türkische Regierung auch an das Volk, ihr "Brudervolk" Aserbaidschan zu unterstützen. "Zwei Staaten, ein Volk" lautet der Leitspruch der Türkei. Dafür müssten die Türkinnen und Türken eben bereit sein, Opfer zu bringen, heißt es seitens der Regierung.
Dem "Brudervolk" helfen
Und diese Strategie über den Appell an die nationalistischen Gefühle der Menschen, berichtet der Korrespondent, geht gerade bei den Anhängerinnen und Anhängern Erdoğans auf. Sie seien stolz, dass die Türkei ähnlich wie eine Großmacht agieren könne.
Laut der türkischen Opposition plant die Regierung jetzt, syrische Söldner im Konflikt um Bergkarabach einzusetzen – ähnlich wie sie es auch schon in Libyen getan hat. Das wiederum verspricht die Unterstützung seitens der türkischen Bevölkerung, so Buttkereit, weil es sie so weniger betrifft. In einem Krieg mit Griechenland wäre das anders, wenn dann die türkischen Soldaten ums Leben kommen könnten.