Mörder, Vergewaltiger, Trolle – in den allermeisten Statistiken, die sich mit üblen Themen beschäftigen, stehen Männer an der Spitze. Woher das kommt, ob sich daran etwas ändert und was sich dagegen machen lässt, haben wir mit der Soziologin Laura Chlebos besprochen.
Es gibt nicht nur eine Vorstellung von Männlichkeit, sondern viele verschiedene, sagt Laura Chlebos. Die Soziologin und Aktivistin forscht an der Ruhr-Universität Bochum zu Männlichkeit, Gewalt und Awareness. Den Männern von heute empfiehlt sie, die tradierten Männlichkeitsvorstellungen über Bord zu werfen und stattdessen ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen.
"Männlichkeit ist ein soziales Konstrukt. Das bedeutet, unsere Vorstellung von Männlichkeit ist eben nicht fix, sondern wandelbar."
Traditionelle Muster
Das Problem: Die geschlechterspezifische Sozialisation bietet Jungen und Männern "keine breite emotionale Entfaltungsmöglichkeit", sagt Laura Chlebos. Männlichkeits- und Geschlechterforscherinnen und -forscher seien sich einig darüber, dass – trotz der Existenz unterschiedlicher Männlichkeiten in unserer Gesellschaft – nach wie vor traditionelle Muster von Männlichkeit im Denken und Handeln verbreitet sind. Wer davon abweiche, werde häufig noch lächerlich gemacht oder abgestraft.
"In unserer Gesellschaft sind nach wie vor traditionelle Muster von Männlichkeit im Denken und Handeln verbreitet. Abweichungen von dieser Norm werden lächerlich gemacht oder abgestraft."
Für viele Männer sei es schwer, aus diesem traditionellen Männlichkeitsbild auszubrechen. Daraus könnten Konflikte und daraus wiederum Gewalthandlungen gegen Frauen, queere und nicht binäre Menschen entstehen. Die Identifizierung mit dem Bild des "starken Mannes" habe aber auch negative Folgen für die Männer selbst, sagt Laura Chlebos. Männer würden weniger professionelle Hilfe in Anspruch nehmen als Frauen und seltener zum Arzt gehen. Außerdem erfahre die Mehrheit der Männer Gewalt durch andere Männer.
Kulturwandel: Bei der Erziehung ansetzen
Die Soziologin plädiert dafür, bei der Erziehung der Kinder anzusetzen. Kinder müssten die Chance bekommen, sich frei von Geschlechterstereotypen entwickeln zu können. Dafür müsse sich aber auch das Mindset der Erwachsenen ändern. Männer könnten etwa selbst aktiv werden, indem sie sich zu Themen wie Sexismus und Mehrfach-Diskriminierung informierten.
"Diskriminierung und Gewalt sind in unseren gesellschaftlichen Strukturen verankert."
Veränderungen allein auf der individuellen Ebene werden allerdings nicht dazu führen, gesellschaftliche Missstände abzubauen, glaubt die Soziologin. Diskriminierung und Gewalt seien nämlich in unseren gesellschaftlichen Strukturen verankert. Und diese hätten – bewusst oder unbewusst – Einfluss auf Individuen und Institutionen, wie etwa unsere Arbeitgeber.
Mehr Frauen in Führungspositionen zum Beispiel würden die gesellschaftliche Landschaft verändern, glaubt die Soziologin. Dadurch würden auch Männer andere Vorbilder bekommen – andere Führungs- und Lebensstile, andere gesellschaftliche Realitäten. Und es entstünde eine viel größere Bandbreite, aus der Männer und Frauen Nutzen ziehen können.
Der Einfluss von #MeToo
Seit der #MeToo-Bewegung ist die Diskussion über Sexismus und männliches Gewalthandeln gegenüber Frauen und queeren Menschen in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt Laura Chlebos. Frauen würden nicht mehr nur belächelt, wenn sie über diese Themen sprechen. Und Sexismus werde nicht mehr in der Form geduldet wie noch vor ein paar Jahren.
"Um eine diskriminierungsfreie Gesellschaft zu schaffen, müssen sich alle verantwortlich fühlen."
Es sei aber noch lange nicht alles gut. Die Zahl der Betroffenen von häuslicher Gewalt habe während der Corona-Pandemie deutlich zugenommen, die Türkei und Polen sind oder wollen aus der Istanbuler Konvention aus(ge)treten, Abtreibung sei in Deutschland immer noch nicht legal – es sei noch viel zu tun. Um eine diskriminierungsfreie Gesellschaft zu schaffen, müssten sich eben alle verantwortlich fühlen.
Toxische Männlichkeit
Mit "toxischer Männlichkeit" sind destruktive Denk- und Verhaltensweisen gemeint, erklärt die Soziologin – also etwa emotionale Distanz, Aggression, Dominanz und sexuell übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen, anderen Männer, Kindern, queeren Menschen, aber auch gegen sich selbst.
Männer oder Männlichkeit an sich sei(en) nicht toxisch, sondern eben nur einzelne Verhaltensweisen. Männer hätten also immer die Möglichkeit, sich gegen dieses grenzüberschreitende Verhalten zu entscheiden. Der Begriff stammt eigentlich aus einem aktivistisch feministischen Kontext, sei aber inzwischen in die Feuilletons übergeschwappt. Im wissenschaftlichen Kontext werde er noch nicht in der Breite verwendet. Vor allem schaffe der Ausdruck erfolgreich eine Öffentlichkeit für das Thema und stoße Diskussionen an.