Viele Monate lang ist Tobias Ginsburg undercover in die Reichsbürger-Szene eingetaucht. Er kennt die Anhänger dieser Ideologie, die die Bundesrepublik Deutschland ablehnen. Die Razzia gegen Reichsbürger im Dezember 2022 sieht er als wichtiges Signal. Aber er sagt auch: Rechtsextreme Verschwörungsideologien sind mitten unter uns - und kein Randphänomen.
Tobias Patera – so hieß das Alter Ego von Autor und Theaterregisseur Tobias Ginsburg, als er sich 2017 für knapp neun Monate in die Reichsbürger-Szene eingeschleust hat. Sein angeblicher Beruf: ein alternativer Journalist, der irgendwann "aufgewacht" ist. Durch seine Undercover-Recherche wollte Tobias herausfinden, warum Menschen sich von verrückt erscheinenden Ideen so mitreißen lassen, dass sie ihr ganzes Leben unter diese Vorstellungen stellen.
Was er in seiner Zeit in der Reichsbürger-Szene gelernt hat: Die Reichsbürger-Szene ist heterogen. "Es gibt nicht diese nette Grenze", sagt Tobias. Er hat Selbstverwalter kennengelernt, Souveränisten, Neonazis, Politiker*innen, Esoteriker, die am Firmament ihre Zukunft ablesen wollen. Menschen, die sehr unterschiedlich sind und die man in vielen gesellschaftlichen Milieus trifft.
"Das ist unser Problem: Wir machen hier Unterscheidungen basierend auf ästhetischen Kategorien, wir beschäftigen uns nicht mit den Inhalten."
Was die Anhänger der Reichsideologie inhaltlich miteinander vereine, sei der Glaube an eine Weltverschwörung, die das deutsche Volke fertig machen wolle, sagt Tobias. "Und die Bundesrepublik ist Teil dieses üblen Komplotts, da ist also kein legitimer, autarker Staat."
Diese Verschwörungsideologie sei nicht neu, sondern stamme noch aus der Zeit des Nationalsozialismus, sagt Tobias. "Jeder Reichsideologe hängt rechtsextremer Ideologie nach."
"Die Vorstellung, es gebe eine Verschwörung, und die BRD ist nur Teil dieser Verschwörung, das ist Teil rechtsextremen Denkens in Deutschland seit 1945."
Die Razzia gegen eine Gruppe von Reichsbürgern um Heinrich XIII. Prinz Reuß am 7. Dezember 2022 hält Tobias für ein wichtiges und notwendiges Signal. Bei einer der größten Anti-Terror-Razzien in der Geschichte der BRD wurden damals 25 Personen aus der Reichsbürger-Szene festgenommen – den meisten von ihnen wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, die den Staat gewaltsam stürzen wollte.
Doch wegen der erfolgreichen Razzia zu denken, der Staat habe alles im Griff, hält Tobias für falsch. "Wir haben es mit einer Kontinuität von ideologischem Gedankengut zu tun und wir haben es mit Ideen zu tun, die tief im Bürgertum verankert ist."
"Wir haben ein Problem mit rechtsextremem Terror. Denk an Hanau, denk an Halle, denk an NSU."
Wieso Tobias mehr Aufklärung bei dem Thema, eine genauere Definition von Faschismus und mehr als "Nie-wieder"-Mantras in Deutschland fordert, hört ihr im Deep Talk.
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