Gottes Allmacht auf dem Prüfstand
Eine tückische Pandemie befördere extreme Haltungen. Die Antwort der Kirchen sei das Bild eines allmächtigen Gottes, so der der evangelische Theologe Michael Welker. Er kann dem nur wenig abgewinnen und entwirft eine Alternative – Freiheit zum Bösen inklusive.
Brutal seien die Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben sowie die Ängste und Sorgen um das eigene Leben und das der Mitmenschen. Eine tückische Pandemie, so der evangelische Theologe Michael Welker, die uns viel abverlange. Hinzu kämen Hass und Hetze, die in der Sache aber nicht wirklich weiterführten, obwohl viele ihr Heil in gerade diesen extremen Formen der Rebellion sehen.
"Eine im Ganzen umsichtige und liberale Gesundheits- und Wirtschaftspolitik in der Corona-Krise wird als Merkel-Diktatur denunziert."
Eigentlich – so zeigt die Geschichte – wenden sich in solchen Krisenzeiten die Menschen den Kirchen oder zumindest der Religion grundsätzlich zu. Doch das sei diesmal nicht zu beobachten. Michael Welker fragt, woran das liegt. Und er kommt zu einem überraschenden Schluss: Die Kirche habe in wichtigen Punkten versagt und müsse deshalb nun umdenken. Seine These: Wir brauchen dringend eine neue schöpfungstheologische Ehrlichkeit.
"Allmachtsgedanken, Gottesbilder und Schöpfungsvorstellungen müssen dringend überprüft werden."
Damit meint Michael Welker, dass Theologen falsche Vorstellungen von Gottes Allmacht und Gottes Schöpfung verbreiteten. Mehr noch: Viel zu lange schon schauten die Kirchen tatenlos dabei zu, wie sich seltsame Theorien darüber Bahn brechen. Theologen würden bis heute Sprechblasen ablassen, die den besorgten Menschen nicht wirklich weiterhelfen würden.
Leben auf Kosten anderen Lebens
Schöpfung und Natur seien ein eigenständiger Bereich, der laut Bibel zwar gut gelungen, aber auch autark sei. Nach Welker ist die Schöpfung nicht nur herrlich und paradiesisch, wie das immer noch von vielen Kanzeln – gerade jetzt in der Weihnachtszeit – verkündet wird. Vielmehr respektiere Gott die menschliche Freiheit sowohl zum Guten als auch zum Bösen.
Für den Theologen existiert Leben sogar immer auch auf Kosten anderen Lebens. Die Frage also, warum Gott soviel Leid zulässt – gerade auch während der Pandemie – erscheint durch Michael Welkers These in einem ganz anderen Licht. Ein Impuls zum Umdenken in der Weihnachtszeit.
Michael Welker ist evangelischer Theologe und Professor für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg, ebenso geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums Internationale und Interdisziplinäre Theologie. Vorgetragen hat er auf einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie im Rheinland und der Melanchthon-Akademie Köln. Das Thema seines Online-Vortrags am 22.9.2020 lautete: "Trostbedürftig und hassgefährdet".