Die Terrormiliz IS verliert zwar an Territorien, nicht aber an Zulauf. Wer jetzt schon das baldige Ende der Terrororganisation verkündet, hat sich zu früh gefreut, sagen Korrespondentin Sabine Rossi und Spiegel-Autor Christoph Reuter.

Im Irak haben die Regierungstruppen kurz nach Weihnachten die Stadt Ramadi zurückerobert. Auch in Syrien verliert der selbsternannte Islamische Staat an Boden. Außerdem haben es Rekruten des IS schwerer, die Gebiete zu erreichen, weil die Kurden, und inzwischen auch die türkische Regierung, die Grenzen dicht gemacht haben.

Christoph Reuter, Autor des Buches "Die schwarze Macht"
"Die territoriale Ausbreitung ist im Herbst und Winter zum Stoppen gekommen und es wurden mehrere Städte zurückerobert."

Etwas anders sieht die Lage im Irak aus. Denn so lange die schiitische Regierung in Bagdad die sunnitischen Bürger kollektiv als Terroristen und Menschen zweiter Klasse abstempelt, sagt Spiegel-Autor Christoph Reuter, wird der IS einen Nährboden haben. Den konfessionellen Hass zu überwinden hält er derzeit für die schwierigste, aber wichtigste Aufgabe.

"Wenn Bagdads Milizen kommen, die wollen uns alle umbringen und vertreiben. Der IS will nur, dass wir gehorchen."
Christoph Reuter über die Haltung der Sunniten

Die sunnitische Bevölkerung müsse nach der Vertreibung des IS wieder eine Perspektive bekommen. Bislang können die sunnitischen Flüchtlinge nicht in ihre Dörfer zurück und müssen weiter in Flüchtlingslagern leben. Das treibt viele junge Männer und Frauen in die Hände des IS.

Anders ist die Lage in Syrien. Dort gibt es eine Alternative. Wer kämpfen will, schließt sich meist den Rebellen an. Der IS ist in Syrien äußerst unbeliebt. Trotz Lebensgefahr wird sogar gegen die Terrormiliz demonstriert, sagt Christoph Reuter.

Rückzug ist auch taktisch

Auch ARD-Korrespondentin Sabine Rossi warnt davor, schon jetzt das Ende des IS zu verkünden. Die Terrororganisation handelt nicht planlos. Bei der Rückeroberung von Ramadi waren kaum noch Kämpfer des IS vor Ort. Dafür haben sie aber Sprengfallen zurückgelassen und vereinzelt Heckenschützen.

"Eine Terrororganisation kann man nicht in Quadratkilometern berechnen. Es geht vielmehr darum: Wie viel Zulauf hat sie, welches Netzwerk hat sie, wie ist sie international aufgestellt? Und: Schafft sie es, Schrecken zu verbreiten?"
Sabine Rossi, Korrespondentin in Kairo

Als nächsten Schritt will die irakische Regierung 2016 die Stadt Mossul aus den Händen des IS befreien. Mossul ist die zweitgrößte Stadt im Irak - dreimal größer als Ramadi - und gilt als Hauptstützpunkt des IS. Entsprechend gut organisiert ist das Netzwerk dort. Es gibt einen eigenen Geheimdienst vor Ort. Mossul zurückzuerobern muss also lange und gut vorbereitet werden.

Aber die irakische Regierung hat durch die Rückeroberung von Ramadi dazugelernt. Dort hat sie mit sunnitischen Stammesführern zusammen gekämpft. Das soll auch in Mossul geschehen. Außerdem soll die Verwaltung dann in sunnitische Hände gelegt werden. Eine erste Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten, die dem IS gefährlich werden könnte.

Links zum Thema:

Shownotes
Terrormiliz IS
"Nicht in Quadratkilometern zu messen"
vom 29. Dezember 2015
Moderation: 
Ralph Günther
Gesprächspartner: 
Christoph Reuter (Spiegel-Autor) und Sabine Rossi (Korrespondentin in Kairo)