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Gemeinsam mit seinem Bruder entwickelt Pawel Durow 2013 den Messengerdienst Telegram. Der Dienst soll besonders anonym, sicher und frei sein. Über zehn Jahre später wird Durow festgenommen – und der Mythos, den er aufgebaut hat, ist zumindest fragwürdig.

Pawel Durow ist ein Meister der Inszenierung: Am liebsten zeigt er sich naturnah, bescheiden bis konsumkritisch und als freier und unabhängiger Kosmopolit. Wie viel wirklich an den Narrativen dran ist, mit denen er sich und seinen Messagingdienst Telegram in der Öffentlichkeit präsentiert, bleibt immer ein wenig zweifelhaft. Wir haben mit der Journalistin und Co-Chefredakteurin von netzpolitik.org, Anne Biselli, gesprochen, um uns dem Phänomen Durow und der Wahrheit anzunähern.

Paradox: "Freie" Meinungsäußerung ohne Verschlüsselung der Daten

Auch die Journalistin Anne Biselli nutzt Telegram, allerdings nur, um mit einem Telegram-Bot mit ihrer Heizung zu "kommunizieren". Dazu kam es, weil sie den Eindruck hatte, dass die Heizung unregelmäßig läuft und dies überprüfen wollte. Für ihre private Kommunikation per Messenger bevorzugt Anne die Signal-App.

"Der Mythos vom sicheren und anonymen Messengerdienst ist nicht haltbar. Wenn man wirklich sicher und vertraulich kommunizieren will, stimmt das überhaupt nicht."
Anne Biselli, netzpolitik.org

Ein wichtiger Grund dafür ist, dass bei Telegram zum Beispiel keine Ende-zu-Ende-Verschlüsslung der Chats besteht. Das bedeutet, dass nur die an der Kommunikation beteiligten Parteien die ausgetauschten Nachrichten entschlüsseln können. Unbeteiligte Dritte können also nicht auf Chats zugreifen. Der Umstand, dass diese Schutzfunktion bei Telegram fehlt, sieht Anne Biselli sehr kritisch. Sie sagt, dass viele Menschen in autoritär geführten Ländern, Telegram nutzen würden, weil es mitunter der einzig verfügbare Dienst sei, den die Bevölkerung nutzen könne.

Wichtiger Messengerdienst, der sehr umstritten ist

Umso mehr überrascht es die Journalistin, dass Telegram-Gründer Pawel Durow nicht dafür sorge, dass die Daten der Nutzer besser gechützt seien, sagt sie. Nach Pawel Durows eigenen Angaben hat Telegram inzwischen rund 900 Millionen Nutzer und er geht davon aus, dass diese Zahl innerhalb eines Jahres auf eine Milliarde ansteigen werde. Zum Vergleich: Whatsapp hat ungefähr doppelt so viele aktive Nutzer*innen. Nichtsdestotrotz ist Telegram ein wichtiger Messengerdienst, der gleichzeitig sehr umstritten ist.

Bevor er Telegram aufgebaut hat, entwickelte er 2006 die Social-Media-Plattform V-Kontakte mit, sozusagen das russische Gegenstück zu Facebook, und verkauft seine Anteile einige Jahre später für geschätzt 400 Millionen Dollar an einen russischen Oligarchen. Manche Kritiker schließen auch eine Zusammenarbeit mit dem russischen Inlands-Geheimdienst FSB nicht aus. Pawel Durow weißt diese Behauptungen allerdings von sich und betont unabhängig zu sein.

"Und seitdem inszeniert sich Pawel Durow als völlig unabhängiger, unbeugsamer Weltbürger – immer frei unterwegs."
Martin Schütz, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Umstritten ist Telegram vor allem, weil der Dienst kaum etwas unternimmt, wenn Menschen sich zu Hass und Hetze verabreden oder auch andere Straftaten begehen. Und dies zum Teil in öffentlich zugänglichen Gruppen, sagt Co-Chefredakteurin von netzpolitik.org, Anne Biselli. Die Behörden seien vielerorts zudem unzufrieden, dass der Messengerdienst sehr unzuverlässig in der Kooperation sei.

"Pawel Durow gibt immer wieder das Versprechen: Hier seid ihr sicher. Hier liest niemand mit."
Martin Schütz, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Mitunter werden Gruppen gesperrt, nachdem sie monatelang aktiv gewesen seien, ohne dass nachvollziehbar sei, wieso der Messengerdienst an bestimmten Stellen und zu bestimmten Zeitpunkten eingreife und in anderen Situationen nicht. Eine Systematik sei nicht zu erkennen, sagt Anne Biselli. Bei islamistischer Hetze sei das wiederum anders, diese werde konsequenter verfolgt und der Messengerdienst arbeite hier wohl auch mit der Europol zusammen.

Durow in Paris wegen Beihilfe verhaftet

Die unterlassene Moderation und Regulierung, die bei Telegram vorherrscht, hat in Frankreich zu Ermittlungen geführt. Vor allem die unzureichende Kooperation bei Kriminalitätsermittlungen und darüber hinaus auch die Beihilfe zu verschiedensten Straftaten werden dem Gründer von der französischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen.

"Es gibt sehr viele Vorwürfe gegen Durow in Frankreich. Beihilfe zu diversesten Straftaten: sowohl Dinge wie die Verbreitung von Darstellung von Kindesmissbrauch als auch Betrug als auch Betäubungsmittelhandel."
Anne Biselli, netzpolitik.org

Das hat dazu geführt, dass ein Haftbefehl gegen Pawel Durow erlassen wurde. Dessen scheint er sich wohl nicht bewusst gewesen zu sein, weil er vergangenen Samstag (24.08.204) verhaftet wurde, als er mit einem Privatjet auf dem Flughafen Le Bourget außerhalb von Paris gelandet ist. Angeblich war er für ein Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron angreist. Dies wurde allerdings von Macron dementiert. Für eine Kaution von rund fünf Millionen Euro wurde Pawel Durow aus der Haft entlassen, muss sich aber regelmäßig bei den Behörden melden und bis auf weiteres im Land bleiben. Anne Biselli geht davon aus, dass sich der Ermittlungsprozess sehr lange hinziehen kann und ist gespannt darauf, wie er ablaufen wird.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Umstrittener Unternehmer
Telegram: Wer ist Pawel Durow?
vom 30. August 2024
Moderation: 
Rahel Klein
Gesprächspartner: 
Martin Schütz, Deutschlandfunk Nova
Gesprächspartnerin: 
Anne Biselli, Co-Chefredakteurin netzpolitik.org