Das Netz ist wie ein großes Archiv. Wir laden dort unsere Erinnerungen hoch und teilen sie mit anderen. Viele nutzen diese Möglichkeit daher auch als Ort für ihre Trauer. Sie drücken ihren Verlust in Postings aus.

Wenn wir um einen verstorbenen Menschen trauen, hilft es uns vielleicht mit Freund*innen und der Familie über die geliebte Person zu sprechen, sich Bilder anzuschauen oder auch online eine Anekdote über sie zu teilen.

Digitales Archiv der Erinnerungen

Solche Trauer-Postings gibt es auf Social Media aktuell häufiger. Lorenz Widmaier leitet ein Forschungsprojekt zum Thema "Digitale Trauer" an der Technischen Universität Zypern. Dafür untersucht er die Bedeutung von digitalem Nachlass wie Social-Media-Profilen oder Chat-Verläufen und schaut sich auch digitale Trauer- und Erinnerungspraktiken an. Er sagt, dass heutzutage verstärkt dort getrauert wird, wo auch gelebt wird: im Netz.

"Wenn ein Teil des Lebens digital stattfindet, wäre es verwunderlich, wenn Trauer nicht auch dort stattfinden würde."
Lorenz Widmaier, leitet ein Forschungsprojekt zu "Digitaler Trauer"

Im Netz teilen Menschen ihre Trauer nicht nur öffentlich mit anderen. Alle, die um jemanden trauern, können dies auch losgelöst von ihrem persönlichen Umfeld tun. "Viele meiner Interviewpartner*innen haben mir gesagt, dass sie in ihrem persönlichen Umfeld nicht trauern können", sagt er. Sie würden sich zum Beispiel von Freund*innen oder der Familie nicht ernst genommen fühlen in ihrer Trauer oder würden länger trauern, als andere es als angemessen bewerten. Online stoßen sie hingegen auf Resonanz und können sich mit anderen austauschen.

Das kommt laut Lorenz Widmaier besonders häufig bei Tod durch Suizid vor, weil die Art zu sterben weiterhin stark stigmatisiert ist. Menschen teilen ihre Trauer oft auch im Netz, wenn sie eine Fehlgeburt hatten oder ihr Baby bei der Geburt beziehungsweise unmittelbar danach gestorben ist. Das sind sogenannte Sternenkinder.

Daten gehören oft den Plattformen

In Hinblick auf die Plattformen sieht der Forscher allerdings eine Schwierigkeit für Trauer-Postings. Es geht um die Frage, wem die Daten im Zweifelsfall gehören. Oft seien die Plattformen die Rechteinhaber. Sollte sich eine Plattform dann dazu entscheiden, das Profil einer verstorbenen Person zu löschen, würden die Angehörigen die Erinnerungen verlieren.

Trauerprozess aktiv gestalten

Für Lorenz Widmaier steht das digitale Trauern allerdings noch am Anfang. Er sieht in dieser Entwicklung eine vielversprechende Möglichkeit, den Trauerprozess aktiver zu gestalten durch mehr Austausch und das Teilen von Erinnerungen. Wenn wir im Digitalen dann lernen, wie wir mehr über Tod und Trauer sprechen können, könnten wir das auch in unseren analogen Alltag integrieren. Das ist zumindest die Hoffnung des Forschers.

"Ich glaube, dass Trauer in Zukunft weniger ein passiver Prozess wird, den man durchleiden muss, sondern ein eher aktiver Prozess, den man mithilfe von solchen digitalen Möglichkeiten gestalten kann."
Lorenz Widmaier, leitet ein Forschungsprojekt zu "Digitaler Trauer"

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Shownotes
Social Media
Online trauern: Mit Posts den Trauerprozess aktiv gestalten
vom 04. April 2023
Moderatorin: 
Anke van de Weyer
Gesprächspartnerin: 
Lena Rocholl, Deutschlandfunk Nova