Russland und die Türkei wollen eine entmilitarisierte Zone in Idlib einrichten. Doch wird das Assad von einem Angriff auf die Rebellenhochburg abhalten? Unsere Syrien-Expertin Kristin Helberg ist skeptisch.
Rund drei Millionen Menschen leben in der Provinz Idlib im Norden Syriens – unter ihnen mehrere zehntausend Aufständische – bewaffnete Extremisten und Kämpfer der gemäßigten syrischen Opposition. Idlib gilt als letzte Hochburg der sogenannten Rebellen im Syrienkrieg. Die Vereinten Nationen befürchten eine Katastrophe für die dortige Bevölkerung, sollten die Truppen von Präsident Baschar al-Assad eine Großoffensive starten.
Nun haben sich der russische Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag (17.09.) auf eine demilitarisierte Zone rund um Idlib geeinigt. Sie soll Regierungstruppen und Rebellen voneinander trennen und bis zum 15. Oktober eingerichtet werden.
"Ich bin tatsächlich skeptisch. Es geht ja nur um einen ganz kleinen Streifen, 15 bis 20 Kilometer, der entmilitarisiert werden soll."
Für die Menschen in Idlib könnte das ein gutes Zeichen sein. Zumal der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte, es werde keinen Angriff auf die Stadt geben.
Gehen die Kämpfer freiwillig?
Doch unsere Syrienexpertin Kristin Helberg ist skeptisch. Sie fragt sich, wer die entmilitarisierte Zone letztlich durchsetzen soll – denn die Kämpfer hätten bislang immer betont, dass sie bis zum Schluss kämpfen und sich nicht unterwerfen werden. Kristin Helberg glaubt nicht, dass sie die Region freiwillig verlassen werden. Das sei doch sonst wie eine Kapitulation auf Raten.
"Das ist so ein bisschen wie ein Rückzug auf Raten und fühlt sich aus Sicht der Kämpfer wie eine Niederlage an."
Türkische Soldaten und russische Militärpolizei sollen in der Zone gemeinsam patrouillieren, kündigte Putin an. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte inzwischen: "Die Region wird von Radikalen gesäubert. Das Volk und die gemäßigte Opposition bleiben, wo sie sind." Wie friedlich das ablaufen wird, muss sich zeigen.
Jede Menge offene Fragen
Zum Idlib-Deal gibt es also noch jede Menge Fragen. Kristin Helberg sagt: Natürlich sei es positiv, wenn die Menschen nicht fliehen müssen, weil sie nicht bombardiert werden. Aber: "Ich möchte erst mal sehen, dass diese entmilitarisierte Zone bis zum 15. Oktober tatsächlich entsteht." Denn die Vergangenheit habe gezeigt, dass es schon immer schwierig war, solche Zonen geografisch festzulegen.
"Wir haben in der Vergangenheit immer wieder gesehen, wie kompliziert es war, Waffenruhen oder auch Deeskalationszonen festzulegen."
Dazu komme: Jede der Kriegsparteien habe eine unterschiedliche Sicht auf den Terrorismus. "Aus Sicht Assads sind alle Terroristen, die seine Herrschaft infrage stellen – aus Sicht des Westens nur dschihadistische Kräfte", sagt Kristin Helberg. Sollten nicht alle Kämpfer die Zone räumen, könnte Assad das eben doch zum Anlass nehmen und Idlib angreifen, fürchtet Kristin Helberg. So sei er auch früher schon vorgegangen. Aus diesem Grund könnte der ganze Deal nur eine Verzögerungstaktik sein.
"Ich vermute, dass das eine Verzögerungstaktik ist, und dass am Ende doch die gesamte Provinz Idlib irgendwie an Assad übergeben werden soll."
Putin will den Westen beruhigen
Putin als Assads Verbündeter hat viel in den Syrienkrieg investiert, sagt Kristin Helberg. Für Russlands Präsident sei der Idlib-Deal zugleich ein Signal an den Westen, mit dem er zeige: Wir wollen kein Blutbad in Idlib, wir respektieren die Meinung der Türkei.
"Was Putin braucht, ist eine Art von militärischem Abkommen, mit dem er den Westen wieder an Bord holt."
Der Wiederaufbau Syriens wird eine Menge Geld kosten: zwischen 250 und 400 Milliarden US-Dollar, schätzt unsere Expertin. Diese Summe könne weder Russland noch China oder der Iran investieren. Darum ist Putin an einem Abkommen mit dem Westen interessiert – um ihn als potenziellen Geldgeber ins Boot zu holen.
Der Deal sei der Versuch, "im letzten Moment irgendwie kompromissbereit zu erscheinen", sagt Helberg. So könnte Putin weiter zu Assad stehen, gebe aber auch zu verstehen, dass er kein Massensterben will oder schreckliche Szenen, wie beim Kampf um Aleppo.
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