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Seit dem Sturz des Assad-Regimes spüren die Menschen in Syrien weiterhin die Gefahr. Besonders die Böden im Nordosten sind stark vermint. Zudem kommt es zu Kämpfen zwischen Assad-Anhängern und den neuen Machthabern. Was braucht Syrien jetzt?

Sein Job ist gefährlich, aber Simon Elmont möchte, dass Menschen sicher leben können. Als Minenräumer war der Brite schon in Gaza und in der Ukraine, jetzt hilft er auch in Syrien. Er ist Experte für die Entschärfung und Beseitigung von Sprengkörpern und Munition bei der Hilfsorganisation Handicap International – eine Organisation im Bündnis Aktion Deutschland Hilft.

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Für seine Arbeit braucht Simon eine spezielle Schutzkleidung, das "Personal Protective Equipment", erzählt er. Dabei handelt es sich um einen Körperpanzer, der meist seine Vorderseite, manchmal auch die Rückseite schützt. Neben einem Helm mit Visier und Gesichtsschutz ist es vor allem eine verstärkte Schürze oder Weste, die seinen Körper bei einer Explosion bis zu einem gewissen Grad abschirmt, erklärt Simon.

Minen – die Gefahr lauert überall

Seit dem Sturz des Assad-Regimes kehren viele Menschen nach Hause zurück, doch das birgt große Gefahren. Nicht von Experten untersuchte oder geräumte Gebiete sind mit Minen und Kampfstoffen verseucht. Schätzungen gehen davon aus, dass in Syrien rund 300.000 nicht detonierte Sprengkörper übers Land verteilt liegen könnten.

Die Unfälle häufen sich, vor allem in Häusern und auf Feldern, berichtet auch Simon. Laut den Vereinten Nationen werden täglich Menschen getötet oder verletzt. Ganz oft sind es demnach Kinder, die zum Beispiel beim Spielen Blindgänger auslösen.

"Es kann keinen Wiederaufbau geben, ohne dass kontaminiert Gebiete, Felder, Gebäude und kritische Infrastruktur identifiziert und gesichert sind."
Simon Elmont, Minenräumer

Simon rät Rückkehrer*innen, sich an Behörden oder Hilfsorganisationen zu wenden. Nach Untersuchungen können sie sich dort informieren und die Sicherheitslage einschätzen. Zudem klären Helfer vor Ort über Minen- und Sprengstoffgefahren auf und zeigen, worauf sie achten müssen. Hinweise auf Gefahren liefern zum Beispiel Schäden und Kampfspuren an Gebäuden.

Syrien braucht dringend Geld für den Wiederaufbau

Ein Wiederaufbau des Landes ist nur möglich, wenn kontaminierte Gebiete, Felder, Gebäude und Infrastruktur gesichert sind, sagt Simon. Auch wenn am Ende keine Gefahr bestehe, müssten zuvor Untersuchungen erfolgen. Die EU unterstützt diese Arbeiten finanziell, doch es braucht mehr Mittel, um Unfälle zu vermeiden und schneller voranzukommen, meint der Kampfmittelexperte.

Das Problem: Syrien ist extrem abhängig von internationaler Unterstützung. Rund sieben von zehn Menschen im Land sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, weil es ihnen am Nötigsten fehlt.

In Brüssel fand jetzt eine Geberkonferenz für das Land statt. Deutschland will 300 Millionen Euro Hilfsgelder zur Verfügung stellen. Das Geld soll explizit nicht an die syrische Übergangsregierung gehen, sondern an internationale Hilfsorganisationen.

Politische Zukunft Syriens unsicher

Entscheidend für die Zukunft der Menschen ist auch die Frage, wie Syrien politisch aufgebaut werden soll. Moritz Behrendt ist ARD-Korrespondent in Kairo und zuständig für Berichterstattung aus großen Teilen der arabischen Welt. In den letzten Monaten hat er vor allem über Libanon und Syrien berichtet.

Es ist weiterhin eine große Erleichterung zu spüren, dass Assad weg ist, beschreibt Moritz die grundsätzliche Stimmung in Syrien, vor allem in den Städten. In anderen Teilen des Landes gibt es dagegen eine wachsende Unzufriedenheit mit den Entwicklungen in den letzten Monaten. Syrien ist ein sehr komplexes Land, sagt er, in dem die Entwicklung in einer Region komplett gegensätzlich sein kann zu der in einer anderen – oder in Damaskus und anderen Städten.

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In der syrischen Küstenregion eskaliert die Gewalt

Zuletzt kam es in der Küstenregion rund um die Stadt Latakia zu großer Gewalt. Dabei sollen rund 1.500 Menschen, vor allem Zivilisten, getötet worden sein. In dieser Region leben vor allem Aleviten – eine Bevölkerungsminderheit, der auch der Assad-Clan angehört.

Anhänger des gestürzten Diktators sollen Truppen der islamistischen Übergangsregierung in einen Hinterhalt gelockt und angegriffen haben, woraufhin die Gewalt eskalierte. Die Übergangsregierung in Damaskus hat Sicherheitskräfte in die Küstenregion geschickt. Bei dieser Militäroperation sind islamistische Kämpfer offenbar ganz gezielt generell gegen Alaviten vorgegangen – egal, ob sie Assad-Anhänger waren oder nicht, berichtet Moritz.

"Von den islamistischen Kämpfern hatten viele Blutdurst und Rachegefühle und haben in den Küstengebieten hunderte alevitische Zivilisten getötet."
Moritz Behrendt, ARD-Korrespondent in Kairo

Viele dieser islamistischen Kämpfer waren von Blutdurst und Rache getrieben, so unser Korrespondent. In den Küstengebieten sollen sie Hunderte alevitische Zivilisten nur wegen ihres Glaubens getötet haben. Berichte schildern grausame Szenen: Kinder und alte Männer wurden ermordet, Menschen an der Tür nach ihrer Religion gefragt. Wer Alavit war, wurde ermordet oder entführt.

Übergangsregierung droht zu scheitern

Die Gewalt und das Vorgehen der Übergangsregierung unter Ahmad al-Scharaa sorgt viele Beobachter – der Übergangspräsident hatte Frieden und den Schutz der Minderheiten zugesichert. Dass ein neuer Bürgerkrieg droht, befürchtet Moritz Behrendt allerdings nicht. Doch viele islamistische Kämpfer entziehen sich der Kontrolle der Regierung, der sie eigentlich nahestehen, räumt er ein.

Ein holpriger Übergang nach 50 Jahren Diktatur war erwartbar, sagt unser Korrespondent, aber ein Massaker an 800 Menschen sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ohne Aufarbeitung droht ein Scheitern der Regierung, fürchtet er.

"Beim Übergang nach mehr als 50 Jahren Diktatur wird es immer zu Schwierigkeiten kommen. Aber ein Massaker an 800 Leuten ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
Moritz Behrendt, ARD-Korrespondent in Kairo

Die Übergangsregierung muss weiter mit Attacken von Assad-Anhängern rechnen. Es gibt Spekulationen über Unterstützung durch die libanesische Hisbollah und möglicherweise den Iran – Länder, die durch den Machtwechsel Einfluss verloren haben. Doch handfeste Belege fehlen, und die tatsächliche Größe dieser Gruppen bleibt unklar.

Einheit, Stabilität und Geld für den Wiederaufbau

Die humanitäre Lage in Syrien ist katastrophal, sagt auch unser Korrespondent. Viele Flüchtlinge kehren zurück, berichtet er, doch bewohnbare Häuser fehlen. Ganze Städte liegen in Trümmern. Zudem gibt es viele Waffen im Land und eben bewaffnete Gruppen. Niemand hat die vollständige Kontrolle, lokale Gefechte können jederzeit aufflammen und sich ausweiten, so Moritz. Nicht nur für die Bürger*innen, auch für die Unternehmen bleibt die wirtschaftliche Lage extrem schwierig.

Selbst wenn dass dringend benötigte Geld für den Wiederaufbau da wäre: Ohne Sicherheit kann das nicht gelingen. Syrien braucht Unterstützung und eine Regierung, die alle Bevölkerungsgruppen einbezieht, sagt Moritz – ein Versprechen, das bisher wenig umgesetzt wurde.

"Einheit , Stabilität und Geld sind notwendig , um Syrien wieder aufzubauen."
Moritz Behrendt, ARD-Korrespondent in Kairo

"Die Idee, dass Syrer, die nach Deutschland geflüchtet sind, wieder zurückkehren können, wäre auch der Traum vieler Syrer", sagt Moritz. Doch die Lage ist noch zu unsicher. Europa könnte zur Stabilität beitragen, kann als Geldgeber und Beobachter agieren - aber die syrische Regierung muss Minderheiten schützen und Verbrechen verhindern.

Ein wenig Hoffnung macht die vor kurzem getroffene Einigung der Regierung mit den kurdisch kontrollierten Kräften im Norden des Landes. Deren Soldaten sollen in die Armee integriert werden, das Abkommen betont auch die politische Einbeziehung aller Minderheiten. Die Regierung scheint zu erkennen, dass ein Wiederaufbau nur mit Kurden, Drusen, Christen und Alaviten gelingt. Doch ob sie wirklich bereit ist, dafür Macht abzugeben, bleibt ungewiss, meint Moritz.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
100 Tage nach Assad
Was braucht Syrien jetzt?
vom 17. März 2025
Moderation: 
Rahel Klein
Gesprächspartner: 
Moritz Behrendt, ARD-Korrespondent in Kairo
Gesprächspartner: 
Simon Elmont, Experte für die Beseitigung von Sprengkörpern