Die USA planen den Rückzug ihrer Truppen aus Syrien. Die Folgen für die Region könnten verheerend sein. Der Nahost-Experte Guido Steinberg warnt vor einer Schreckensherrschaft in Ostsyrien. Aber auch für die Europäer sei die Situation enorm gefährlich.
Noch sind die USA die unangefochtene militärische Supermacht auf der Welt, weit vor Russland und China. Doch die Rolle als Weltpolizist wollen die USA in Zukunft nicht mehr spielen. Das zumindest hat US-Präsident Donald Trump bei seinem Truppenbesuch im Irak an Weihnachten klar gemacht. Ein Schritt weg von der Weltpolizei soll der Rückzug amerikanischer Truppen aus Syrien sein.
Türkische Regierung lässt Treffen mit US-Sicherheitsberater platzen
Eigentlich sollte sich der US-Sicherheitsberater John Robert Bolton mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan treffen, um den US-Truppenabzug mit dem NATO-Partner zu besprechen. Doch Erdogan ließ das Treffen platzen. Der offizielle Grund für die Absagen waren Äußerungen des US-Sicherheitsberaters. Bolton wollte Sicherheitsgarantien für die mit den USA verbündeten kurdischen Truppen in Syrien, sagt der Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Verärgert habe die türkische Regierung aber auch Äußerungen der US-Administration über eine mögliche türkische Intervention.
"Wenn die USA ihre ehemaligen Verbündeten unter den Kurden schützen wollen, dann müssen sie vor Ort eigentlich auch präsent bleiben."
Die kurdische Miliz YPG ist ein Zankapfel zwischen der Türkei und den USA. Die USA haben die Miliz mit Waffen unterstützt, die Türkei will gegen die YPG vorgehen. Müssen die USA jetzt doch länger in Syrien bleiben als Trump lieb ist? "Wenn die USA ihre ehemaligen Verbündeten unter den Kurden schützen wollen, dann müssen sie vor Ort eigentlich auch präsent bleiben", meint der Nahost-Experte. Erdogan kündigt schon seit Längerem an, bei einem US-Truppenabzug im kurdischen Teil Syriens intervenieren zu wollen.
"Die Amerikaner müssen damit rechnen, dass ihre Verbündeten zerschlagen werden, sobald der letzte amerikanische Soldat Syrien verlassen hat."
Fakt ist: Die Türkei hat eine Sonderrolle in Syrien und als Nachbarland einen großen Einfluss auf den Konflikt mit Beziehungen zu den am Konflikt beteiligten Ländern Russland und den USA, so Steinberg. Wobei vor allem die Beziehungen zu den USA als nach wie vor gesichert gelten, auch wenn das momentan nicht so erscheine.
In einem Gastbeitrag in der New York Times überrascht der türkische Präsident mit dem Vorschlag einer "Stabilisierungstruppe", deren Kämpfer die ganz syrische Gesellschaft repräsentieren sollen - auch die Kurden. Für Steinberg ein Schreckensszenario.
Es droht eine Schreckensherrschaft
Anfang 2018 marschierte die Türkei mit syrischen Hilfstruppen in Afrin ein - die eigentliche Hochburg der syrischen Kurden. Dort wurde dann eine regelrechte Schreckensherrschaft begonnen, so der Politikexperte. Als Modell für Ostsyrien würde das bedeuten, dass die sogenannte freie syrische Armee vielleicht mit einigen kurdischen Helfershelfern dort die Kontrolle übernehmen soll. "Die Kurden wissen, was das bedeutet: Eine türkische Herrschaft gemeinsam mit oft islamistisch motivierten Arabern aus Syrien - das wird eine Schreckensherrschaft werden", sagt Steinberg.
"Die Kurden wissen, was das bedeutet: Eine türkische Herrschaft gemeinsam mit oft islamistisch motivierten Arabern aus Syrien - das wird eine Schreckensherrschaft werden."
Wichtig ist auch die Frage, welchen Einfluss die Entwicklungen auf den IS haben werden. Schon jetzt sorge die derzeitige Unsicherheit über einen Abzug der US-Truppen und eine mögliche Intervention der türkischen Armee dafür, dass der IS Aufwind bekommt, sagt der Politikexperte.
Truppenabzug fahrlässig
Es sei durchaus vorstellbar, dass der IS von der amerikanisch-türkischen Krise profitiere und sich noch auf Jahre in Syrien halten könne, so Steinberg. Eine enorm gefährliche Situation für die Syrer und Türken - aber auch für die Europäer.
"Die Situation ist also enorm gefährlich und zwar nicht nur für die Syrer, sonder auch für die Türken und die Europäer."
Die amerikanisch-kurdische Allianz habe dafür gesorgt, dass der IS keine großen Anschläge mehr im Ausland verüben kann. "Das zu gefährden, ist aus meiner Sicht fahrlässig", sagt Steinberg. Die Gefahren der gegenwärtigen Situation seien kaum zu überschätzen.
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