Mit dem Sturz der Assad-Diktatur ändern sich die Machtverhältnisse in Syrien nicht nur innenpolitisch. Während Iran und Russland an Einfluss verlieren, wird die Türkei als Partner wichtiger. Deutschland ist noch auf der Suche nach seiner Rolle.
Deutschland hat angekündigt, sein Engagement in Syrien zu verstärken, wobei bislang unklar bleibt, wie diese Unterstützung konkret ausgestaltet werden soll. ARD-Korrespondentin Anna Osius betont die Bedeutung humanitärer Hilfe sowie beratender Maßnahmen.
Deutschland habe acht Millionen Euro für kurzfristige humanitäre Hilfe bereitgestellt, doch es stelle sich die Frage, wie ein weiterführendes Engagement aussehen könne.
Besonders beim Wiederaufbau, bei der Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes und der Unterstützung demokratischer Strukturen könne Deutschland ihrer Einschätzung nach eine zentrale Rolle spielen.
"Besonders beim Wiederaufbau, der Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes und der Unterstützung demokratischer Strukturen kann Deutschland eine bedeutende Rolle spielen.“
Osius sieht zudem die Möglichkeit, dass Deutschland aufgrund seiner eigenen Geschichte eine beratende Funktion übernehmen könnte, insbesondere bei der Verarbeitung der Traumata, die der Bürgerkrieg hinterlassen habe. Gerade bei der Aufarbeitung von Verbrechen und dem Aufbau eines Rechtsstaats könne das Land ihrer Meinung nach wertvolle Impulse liefern.
"Gerade bei der Aufarbeitung von Verbrechen und dem Aufbau eines Rechtsstaats kann Deutschland mit seiner Erfahrung wertvolle Impulse geben.“
Sie wies jedoch darauf hin, dass der Erfolg dieser Rolle stark davon abhänge, wie sich die neue Führung in Syrien entwickle und ob sie tatsächlich bereit sei, eine inklusive und stabile Gesellschaft zu schaffen.
Zwischen Hoffnung und Zweifel
Denn neben hoffnungsvollen Stimmen mischen sich auch Zweifel über die neuen Machthaber in Syrien. Achraf aus Damaskus sagt, viele glaubten noch, Assad komme zurück – alles sei nur ein Traum und am Ende werde Assad alle töten. Deshalb hätten viele Menschen weiterhin Angst, frei zu sprechen.
"Viele glauben, Assad kommt noch zurück. Sie denken, es ist alles nur ein Traum, und Bashar al-Assad wird wiederkommen und uns alle töten. Sie haben immer noch Angst, zu sprechen.“
Achraf hofft, dass Syrien durch internationale Kooperation ein neues Image gewinnen könne, vielleicht kämen auch wieder Touristen nach Syrien. Diese könnten dann ein anderes Bild von Syrien in die Welt senden – eines ohne Terrorismus und Blut.
"Es gibt jetzt die Möglichkeit, neue Allianzen zu bilden. Vielleicht kommen sogar Touristen, um unser schönes Land zu sehen und das Bild von Terrorismus und Blut zu ändern, das die Medien gezeichnet haben.“
Dieser Optimismus wird jedoch von der Realität gebremst. Der Bürgerkrieg hat nicht nur die Infrastruktur stark beschädigt, auch wirtschaftlich liegt das Land am Boden, und das Vertrauen der Menschen in ihr eigenes Land ist schwer beschädigt.
Herausforderungen für den Wiederaufbau
Die wirtschaftliche Situation in Syrien sei laut ARD-Korrespondentin Anna Osius katastrophal. Über 90 Prozent der Bevölkerung lebten unter der Armutsgrenze und müssten mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen.
"Wir müssen uns nichts vormachen: Syrien braucht Geld, Syrien ist pleite. Die Wirtschaft liegt am Boden. Es geht um humanitäre Hilfe, es geht um Wiederaufbau.“
Ebenso wichtig sei die Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes, da Syrien ein zutiefst traumatisiertes Land sei, das Zeit und internationale Solidarität benötige, um sich von den Folgen des Bürgerkriegs zu erholen.
Gleichzeitig warnt Osius vor einer möglichen Täuschung durch die neue Führung, die bislang versucht, ein offenes und kooperatives Bild zu zeichnen. Es bleibe unklar, ob dieses Verhalten langfristig auf echte Reformen hindeute oder lediglich taktischer Natur sei.
Die Rolle der internationalen Akteure
Schon lange ist Syrien der Schauplatz verschiedener Machtspiele internationaler Akteure. Russland und der Iran hätten Baschar al-Assad über viele Jahre unterstützt und seien wesentliche Faktoren gewesen, die ihn an der Macht gehalten hätten.
Ohne das Eingreifen dieser Akteure ab 2015 wäre das Assad-Regime ihrer Ansicht nach wahrscheinlich früher gestürzt worden. Doch die Unterstützung dieser beiden Mächte sei zuletzt zurückgegangen, was letztlich zum Machtverlust Assads beigetragen habe.
"Wir haben Russland und den Iran, die Assad lange gestützt haben. Dann gibt es die Türkei, die islamistische Aufständische unterstützt hat, und die Kurden, die ihre Autonomie sichern wollen. Dazu kommen die USA, Israel und viele andere Akteure.“
Der Iran habe insbesondere darauf abgezielt, eine strategische Verbindung von Teheran über Damaskus bis Beirut zu kontrollieren, eine Vormachtstellung, die nun geschwächt sei. Russland müsse ebenfalls seine Militärpräsenz in Syrien und die weitere Strategie vor Ort neu bewerten.Gleichzeitig verfolgten andere Akteure wie die Türkei ihre eigenen Interessen.
Die Türkei habe islamistische Aufständische unterstützt und sehe im Sturz Assads einen Vorteil, da sie hoffe, die vielen syrischen Geflüchteten bald in ihre Heimat zurückführen zu können. Auch die Kurden, die im Nordosten Syriens ein autonomes Gebiet kontrollierten, strebten nach einer Stabilisierung ihrer Position. Dies sei jedoch eine Quelle ständiger Spannungen mit der Türkei, die kurdische Autonomiebestrebungen kritisch betrachte.
Neben diesen regionalen Akteuren spielten auch globale Mächte wie die USA und Israel eine Rolle. Die USA hätten Truppen in Syrien stationiert, während Israel in den letzten Tagen verstärkt Luftangriffe gegen militärisches Material der Assad-Regierung geflogen habe. Israel wolle verhindern, dass die Situation in Syrien eine Bedrohung für seine Sicherheit werde, insbesondere durch den Einfluss des Iran, erklärt Anna Osius.
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