Baschar al-Assad steht kurz davor, die Kontrolle über sämtliche syrische Gebiete wiederzuerlangen. Das bedeute aber längst kein Ende des Konflikts, sagt die Journalistin und Syrien-Expertin Kristin Helberg.
In den vergangenen Wochen konnten syrische Regierungstruppen große Gebiete von den Rebellen zurückerobern. Der IS gilt in Syrien als militärisch geschlagen. Dennoch halten sich bis zu 30.000 IS-Kämpfer in Teilen von Syrien und im Irak auf, so ein aktueller UN-Report.
Schlacht um Idlib
In Syrien selbst hat die entscheidende Schlacht gerade erst begonnen: Die Provinz Idlib ist das letzte Gebiet, das noch vollständig unter der Kontrolle unterschiedlicher Rebellengruppen ist, erklärt Journalistin Kristin Helberg, die lange Jahre in Syrien gelebt und von dort berichtet hat.
Geringeren Einfluss haben Baschar al-Assad kurdischen Gebieten im Nordosten, sagt die Syrien-Eypertin. Hier gebe es aber Bestrebungen, einen Kompromiss zu finden.
Assad könnte Syrien bald wieder kontrollieren
Erste Angriffe auf Idlib hat es bereits gegeben, eine Großoffensive steht kurz bevor. Damit könnte Assad wieder die Kontrolle über das Land erlangen. In der Provinz gebe es rivalisierende Islamistengruppen ebenso wie andere Rebellengruppen, so Kristin Helberg.
"Syrien befindet sich fast wieder unter Kontrolle des Regimes. Das ist aber nicht unbedingt ein Zeichen von Frieden."
Ein mögliches Zukunftsszenario nach dem Krieg beschreibt die Journalistin so: Die Kampfhandlungen hören auf, es fallen keine Bomben mehr. "Oberflächlich betrachtet sieht das erstmal aus wie Stabilität. Aber die syrische Gesellschaft ist extrem zerrüttet. Es gibt unglaublich viel Misstrauen und unglaublich viel Hass."
Der Wunsch nach Rache
Kristin Helberg hält eine Aufarbeitung der Gewalt mit einer Regierung Assad nicht für möglich. Zu groß seien die Verluste in der Bevölkerung - Getötete, Vermisste, Opfer von Foltergefängnissen. Sie glaubt, es schwelt eine große Wut und der Wunsch nach Rache in der Bevölkerung.
"Was das Land eigentlich bräuchte, wäre eine gesellschaftliche Aussöhnung und Aufarbeitung der Gewalt der vergangenen Jahre - aber das ist mit dem Regime Assad nicht vorstellbar."
Die aktuellen Entwicklungen und Pläne für die zurückeroberten Gebiete wie Homs oder Aleppo zeigten, so Kristin Helberg, dass Assad treue Anhänger gezielt belohne, mögliche Feinde indessen ausschließe: "Der Wiederaufbau dient dem Regime dazu, das Land demografisch umzubauen und von Gegnern und Kritikern zu säubern."
Die Haltung der EU zum Wiederaufbau
Die EU und hat Deutschland haben zur Unterstützung des Aufbaus eine klare Linie: Sie werden sich nicht daran beteiligen, solange es keinen glaubwürdigen Übergangsprozess gibt, so Kristin Helberg. Außerdem müsse eine juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen erfolgen.
Der syrische Vize-Außenminister Faisal Mekdad hat indessen den Westen aufgefordert, bisherige Sanktionen aufzuheben, um die Bemühungen Syriens zu unterstützen, Geflüchtete zurück ins Land zu holen.
"Die EU sollte den Syrern helfen, die Diktatur langfristig zu überwinden. Das ist die einzige Chance: wir müssen in Syrien gerade langfristig denken."
Zentral bleibe, so die Syrien-Expertin, die Aussöhnung im Land voranzutreiben und die Syrer langfristig zu unterstützen, die Diktatur zu überwinden. Denn selbst, wenn der IS militärisch besiegt sei: Die Ideologie der Extremisten sei es nicht. Für Kristin Helberg werden damit die Ursachen einer Radikalisierung nicht behoben: die Perspektivlosigkeit der jungen Leute unter autoritären Strukturen.
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