• Deutschlandfunk App
  • ARD Audiothek
  • Spotify
  • Apple Podcasts
  • Abonnieren

Über die Geschlechtszugehörigkeit der Boxerinnen Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu-ting aus Taiwan wird öffentlich spekuliert. Es heißt, sie seien intergeschlechtlich, hätten einen erhöhten Testosteronspiegel. Wir fragen, was solche medizinischen Phänomene für den Wettkampf bedeuten.

Beide stehen im Finale: Die Boxerin Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu-ting aus Taiwan könnten in ihren Gewichtsklassen in Paris 2024 olympisches Gold holen. Doch bei den beiden geht es nicht nur um ihre Leistungen, sondern vor allem um die Frage, ob es fair ist, dass die beiden im Frauenwettkampf antreten. Denn ihnen wird vorgeworfen, keine Frauen sein zu sollen und daher Vorteile zu haben.

Testosteron als Problemhormon im Frauensport

Um es vorwegzusagen: In diesem Artikel und im Podcast geht es nicht um die Fragen, welches Geschlecht die Boxerinnen haben, ob sie intergeschlechtlich sind oder eben nicht. Es geht um die Debatte und um die Frage, welche Auswirkungen es hat, wenn eine Sportlerin mehr Testosteron produziert als andere.

Die Debatte um die Höhe des Testosteronspiegels im Spitzensport ist nicht neu. In Bezug auf die beiden Boxerinnen ist sie es aber. Imane Khelif und Lin Yu-ting sind seit Jahren im Boxsport aktiv, sagt Andrea Schültke aus der Deutschlandradio Sportredaktion. Gerüchte um ihre Geschlechtszugehörigkeit gibt es aber erst seit 2023.

Da wurden sie von der International Boxing Association (IBA) von der Box-Weltmeisterschaft ausgeschlossen. Begründet wurde das mit Tests, bei dem das Geschlecht der Boxerinnen geprüft wurde. Und diese Tests sollen die beiden nicht bestanden haben.

"Es gab eine furchtbare Pressekonferenz, bei der vier Männer über das intimste von zwei Menschen, die gar nicht dabei waren, gesprochen haben."
Andrea Schültke, Deutschlandradio Sportredaktion

Andrea Schültke berichtet über diesen Vorfall gezielt im Konjunktiv, weil der Boxverband keine Informationen zu den Tests herausgibt. Weder ist bekannt, was getestet wurde noch wie die Ergebnisse ausfielen. Was aber als gesichert ist, ist, dass die International Boxing Association vom kremlnahen Verbandspräsident Umar Kremlev geleitet wird und als einziger Weltverband überhaupt vom Internationalen Olympische Komitee (IOC) aufgrund von Korruption und intransparenter Verbandsführung suspendiert ist.

Einen Einfluss auf die Teilnahme der Boxerinnen bei Olympia 2024 hatte die Entscheidung des Boxverbandes nicht, der IOC hat keinen Zweifel an der Geschlechtszugehörigkeit von Imane Khelif und Lin Yu-ting. Doch die Gerüchteküche brodelt. Was auf Social Media abgeht, bezeichnet Andrea Schültke als regelrechte Schlammschlacht.

Die könnte weitergehen, wenn eine der beiden Sportlerinnen Gold holen sollte. "Angesichts dieser Debatte gehe ich wirklich davon aus, dass ein Sieg angefochten werden wird." Das könnte der Weltverband machen oder auch Gegnerinnen, so Andrea Schültke. Und dann würden alle medizinischen Details öffentlich gemacht.

"Ich bin ein Kontakt mit meiner Familie. Ich hoffe, dass sie das Ganze nicht zu tief getroffen hat. Sie sorgen sich um mich."
Lin Yu-ting, Profiboxerin

Von den beiden Boxerinnen hat sich bisher nur Lin Yu-ting geäußert. Andrea Schültke verweist auf ein Interview, in dem die Sportlerin gesagt hat, solche Gerüchte und Spekulationen könnten einen Menschen kaputtmachen, zerstören, auch weil die eigene Familie, das eigene Umfeld alles mitkriegt.

Dilemma zwischen Biologie, Fairness und Inklusion

Stand jetzt ist nicht bekannt, ob eine der Boxerinnen intergeschlechtlich ist. Was aber feststeht, ist, dass Personen mit einem erhöhten Testosteronspiegel grundsätzlich einen Vorteil im Sport haben können. Das bestätigt auch Patrick Diel. Er ist Endokrinologe an der Deutschen Sporthochschule Köln, wo er hormonbedingte Effekte auf die Leistungsfähigkeit erforscht.

Zum einen regelt Testosteron die Spermienproduktion. Zum anderen hat es eine sogenannte anabole Eigenschaft. Das heißt, es führt zur Steigerung der Muskelmasse. Männer haben im Durchschnitt einen höheren Anteil an Muskelmasse. Damit sind sie auch im Durchschnitt leistungsfähiger beim Sport.

"Biologisch betrachtet hat ein höherer Testosterongehalt in der Regel einen Vorteil bei der Leistungsfähigkeit. Das ist Fakt."
Patrick Diel, Endokrinologe

Für die betroffenen Sportlerinnen kann ich verstehen, dass sie frustriert sind, sagt Parick Diel. Er hat genauso Verständnis für die Gegnerinnen, weil sie sehen, dass ihre Chancen, gegen jemanden zu gewinnen, geringer sind, der oder die offensichtlich mehr Kraft hat.

Eine faire Entscheidung zu treffen ist schwer, findet Patrick Diel, zumal es nicht nur um Fairness geht, sondern auch um die Frage nach Inklusion. Und die Verbände, die die Entscheidung treffen müssen, tun sich mit damit schwer, sagt Andrea Schültke. Sie berichtet vom Weltschwimmverband, der beim Weltcup in Berlin 2023 neben Mann und Frau eine dritte Kategorie eingeführt hat. In der ist aber niemand angetreten.

Auch Weltleichtathletikverband hat mehrfach versucht, seine Regeln anzupassen. Das Ergebnis war, dass die gesunde Spitzensportlerin und Weltmeisterin Caster Semenya testosteronsenkende Medikamente hätte einnehmen müssen, also krankmachende Medikamente mit großen Nebenwirkungen, um bei den Frauen startberechtigt zu sein, erklärt die Sportjournalistin. Dagegen geht Caster Semenya juristisch vor. Der Fall ist nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Streit ums Geschlecht
Wie fair ist Frauenboxen bei Olympia?
vom 08. August 2024
Moderation: 
Ilka Knigge
Gesprächspartner: 
Andrea Schültke, Deutschlandradio Sportredaktion
Gesprächspartner: 
Patrick Diel, Endokrinologe