Mit dem Rad noch schnell über die rote Ampel fahren, sich vor der Kreuzung noch reindrängeln oder mit dem E-Scooter über einen Fußweg donnern – all diese Situationen kommen im Straßenverkehr vor. Erleben wir sie, macht uns das oft aggressiv. Aber warum eigentlich?
Im Extremfall kann so eine Situation damit enden, dass betroffene Personen handgreiflich werden und die Polizei kommen muss. Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC, sagt aber: Das ist die Ausnahme und nicht die Regel.
"Es kann auch mal eskalieren, dass man sich nicht nur zur Rede stellt, sondern auch handgreiflich wird. Aber das ist die Ausnahme und nicht die Regel."
Viel häufiger sei es eher fahrlässiges Handeln, das im Straßenverkehr passiert, weil man etwas übersehen hat oder zu einer anderen Risikoeinschätzung kommt – beispielsweise dann, wenn man noch schnell rüberzieht und dabei weniger Rücksicht walten lässt, so Chiellino.
Mögliche Ursache: Konkurrenz um Straßenfläche
Neben eines sehr individuellen Risikobewusstseins und den daraus resultierenden Konsequenzen könnte ein Grund für Aggressionen im Straßenverkehr sein, dass es momentan in der Gesellschaft auch grundsätzliche Diskussionen gibt um die Fragen: Wem gehört welcher Teil der Straße? Und: Wie will man gesehen werden im Straßenverkehr?
Ulrich Chiellino macht zudem darauf aufmerksam, dass die Straßenverkehrsordnung ein sehr klar strukturiertes Regelwerk ist. Dementsprechend könne man auch ein Fehlverhalten viel einfacher benennen, als das vielleicht in anderen Lebensbereichen der Fall sei.
Zeitdruck und Anonymität
Als weitere wichtige Gründe für Aggressionen benennt ADAC-Experte Chiellino den Zeitdruck: Wir planten oft zu wenig Zeit ein, um von A nach B zu kommen, und dieser Zeitdruck wirke sich dann als Stressor aus. Wenn dann auf dem Weg noch etwas Unvorhergesehenes passiert (etwa eine Baustelle oder ein anderer Verkehrsteilnehmer, der einen behindert), dann wachse natürlich die Wut.
Ein entscheidender Punkt für aggressives Verhalten, besonders bei Autofahrenden, sei auch die gefühlte Sicherheit und Anonymität im Auto. Denn dort gebe es gefühlt keine soziale Kontrolle: Emotionen schaukeln sich so eher hoch, weil der Impuls, der da ist, sozusagen sofort auch ausgelebt werden kann, sagt Chiellino.
"Fühle ich mich sicher, fühle ich mich anonym, dann liegt keine soziale Kontrolle vor. Und da steigen dann die Emotionen eher hoch."
Und obwohl nur die wenigsten Verkehrsteilnehmenden lediglich ein einziges Verkehrsmittel nutzen würden (beispielsweise nur das Fahrrad oder nur das Auto) könnte sich jeder in der betreffenden Situation nur schwer in andere Verkehrsteilnehmer hineinversetzen.
Ulrich Chiellino appelliert deshalb an jede einzelne Person: Alle zusammen müssten den Verkehr bestmöglich gestalten. Und das gehe nur, wenn wir auch mehr Rücksicht nehmen und zusammenhalten.