Eine Geschichte kann ein mächtiges Werkzeug sein. Nicht nur im Roman oder wenn uns Freunde etwas Wichtiges erzählen. Storytelling findet sich heute überall: bei Wirtschaftsunternehmen, in der Wissenschaft oder im Journalismus. Zwei Vorträge über die Macht des Erzählens von Matías Martínez und Julika Griem.
Wenn wir versuchen, etwas zu verstehen, dann müssen wir zunächst Informationen sammeln. Irgendwie müssen wir uns Wissen aneignen. In Form einer Geschichte geht das besonders gut. Wenn mir ein Freund erzählt, was er letzte Woche gemacht hat, dann bin ich irgendwie "dabei": Ich erlebe das, was er erlebt hat, ich leide mit, ich versetze mich in ihn und in die Situation, von der er berichtet.
"Eine Erzählung kann ein Geschehen so vermitteln, wie wir es selbst erlebt haben könnten, wären wir nur dabei gewesen."
Konzerne versuchen mit Storytelling ihre Corporate Identity zu stärken, Journalisten wollen auf diese Weise die Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten binden. Wissenschaftler versuchen, ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit nahe zu bringen, indem sie ihnen eine narrative Form geben.
Storytelling in der Wissenschaft
Bei uns im Hörsaal erkunden wir heute in zwei Vorträgen, was es mit dem Erzählen auf sich hat.
"Das Erzählen befriedigt die Sehnsucht nach Teilhabe an fremder Wirklichkeit."
Was macht die Story zur Story? Das erklärt der Literaturwissenschaftler Matías Martínez: Ereignisse müssen in einer bestimmten Reihenfolge dargestellt werden und kausal zusammenhängen, es muss Spannungsbögen geben und einen Abschluss. Wenn das alles vorhanden ist, dann kann eine Erzählung viel erreichen: Wir können mit ihr Dinge erklären und verstehen oder uns etwas vergegenwärtigen.
Storytelling birgt auch Gefahren
Im zweiten Vortrag untersucht die Literaturwissenschaftlerin Julika Griem die Fallstricke des Storytellings. Was geht verloren, wenn sich Wissenschaftler zu sehr auf eine gute "Story" konzentrieren und dabei Widersprüche, Konflikte und Probleme ausblenden?
Matías Martinez ist Professor an der Universität Wuppertal und Gründungsdirektor des Zentrums für Erzählforschung. Sein Vortrag hat den Titel "Erklären, Verstehen und Erzählen in den Geisteswissenschaften".
Julika Griem ist Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Leiterin des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Ihr Vortrag hat den Titel "Erzählen als disziplinäre Außenkommunikation".
Beide Vorträge wurden am 2. Oktober 2019 am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen gehalten im Rahmen der Tagung "Wie viel Erzählen brauchen die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften?".