Oft heißt es, es sei einfach an Stipendien für Studierende zu kommen, weil sich nicht so viele darauf bewerben. Ulrike hat andere Erfahrungen gemacht. Wir haben nachgefragt, wie es eigentlich mit der Bildungsgerechtigkeit aussieht bei der Vergabe dieser Förderungen.
Ulrike ist in ihrer Familie eine sogenannte Erstakademikerin – also die erste ihrer Familie, die studiert. Oder anders gesagt: Ulrike ist ein Arbeiterkind. Sie studiert Integrated Natural Resources Management im Master. Sie ist im zweiten Semester und muss sich ihr Studium größtenteils selbst finanzieren. Deswegen bewirbt sie sich auf ein Stipendium bei einer politischen Stiftung. Es hört sich alles ganz einfach an. Nach ein paar Monaten kommt dann die Absage.
"Das ist alles so positiv dargestellt worden, dass man eigentlich ganz gute Chancen hat. Und man sich nur bewerben muss."
Es ist nicht die einzige Bewerbung – und es ist nicht die einzige Absage. Aber nie gibt es eine Begründung. An den Leistungen kann es nicht liegen, die sind durchweg gut.
In Deutschland gibt es viele Stipendien. Am bekanntesten sind die 13 Begabtenförderwerke, unter anderem die Studienstiftung des deutschen Volkes, aber auch die parteinahen Stiftungen, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung oder die Konrad-Adenauer-Stiftung.
Ines Herr arbeitet für die Studienförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie sagt, bei ihnen gebe es drei Kriterien für eine Förderung:
- überdurchschnittliche Leistungen
- gesellschaftspolitisches Engagement
- Persönlichkeit
"Unter Persönlichkeit fassen wir wirklich, ob jemand zu uns passt."
Die Kriterien sind überall vergleichbar. Ulrike hat dem Papier nach jede dieser Anforderungen erfüllt. Neben ihren guten Leistungen passt sie auch ins politische Profil der Stiftungen, bei denen sie sich beworben hat.
Sie hat überdurchschnittlich gute Noten, und sie engagiert sich. Nach dem Abi hat sie ein Jahr lang einen Freiwilligendienst gemacht, veranstaltet immer noch regelmäßig Info-Veranstaltungen und Seminare zum Thema Freiwilligendienst und erklärt anderen jungen Menschen, wie man sich den auch finanzieren kann. "Ich war auch in der Flüchtlingshilfe aktiv. Ich bin beim Foodsharing aktiv", sagt sie.
Und dennoch wurde Ulrike abgelehnt – in der ersten Runde - nur aufgrund der Unterlagen, ohne ein persönliches Gespräch. Parallel hat sich eine Freundin von ihr beworben, mit ähnlichem Profil, einziger wesentlicher Unterschied: Ulrike ist Arbeiterkind, ihre Freundin nicht. Die Freundin ist in die nächste Runde des Auswahlverfahrens gekommen.
30 bis 50 Prozent Erstakademiker
Es stellt sich die Frage: Müssten sich nicht gerade Stiftungen für das Thema Bildungsgerechtigkeit interessieren? Die Zahlen erzählen etwas anderes: Kinder mit bildungsfernem Hintergrund haben hier schlechtere Karten. Bei den meisten Förderwerken liegt der Anteil von Erstakademikern, wie Ulrike, bei nur etwa 30 Prozent, ein Drittel. So auch bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mit Abstand die meisten Stipendien vergibt – und demzufolge besonders viele Akademikerkinder fördert.
Ausgewogener ist das Verhältnis dagegen bei der Friedrich-Ebert- oder der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Hier gehen etwa die Hälfte der Stipendien an Kinder aus Arbeiterfamilien. Was passt, denn die machen auch an den Hochschulen etwa die Hälfte der Studierenden aus.
Susanna Schmidt, Leiterin der Begabtenförderung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) sagt, dass sich viel weniger Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien bewerben. Auch bei der KAS lag 2019 der Anteil der Erstakademikerinnen bei 30 Prozent.
"Gegenüber der Anzahl der Studierenden müssten es wesentlich mehr Bewerberinnen und Bewerber sein."
Problematisch ist die niedrige Quote auch deshalb: Das Geld kommt vom Bundesbildungsministerium, also aus Steuergeldern. Im Jahr 2017 waren das 262 Millionen Euro. Damit werden aber nur etwa 1 Prozent aller Studierenden gefördert. Das ist viel Geld für wenige Studierende, im Vergleich zum BAföG. Auf das ist Ulrike angewiesen. Warum ihre Bewerbungen letztlich gescheitert sind, weiß sie nicht.
Hintergrund der Recherche
Vor kurzem haben wir über Studienfinanzierung gesprochen. Unter anderem ging es dabei auch um Stipendien. Unser Autor hat in dem Zusammenhang gesagt: Da bewerben sich zu wenige, weil die meisten denken, dass sie eh keine Chance haben. Dabei hätte man eigentlich gute Karten, auch als Arbeiterkind. Man müsse es eben nur probieren. Und daraufhin hat uns eine Hörerin geschrieben und gesagt: Sie hat es probiert, aber nur Absagen bekommen. Und da haben wir uns gedacht – da haken wir mal nach. Wie steht es eigentlich um die Bildungsgerechtigkeit bei den Stipendiengebern?