Iron Man? Wer daran teilnimmt, ist entweder sehr ehrgeizig oder sogar sportsüchtig, könnten manche denken. Bei diesen Wettkämpfen bestehe allerdings wenig Suchtpotenzial, erklärt ein Sportwissenschaftler. Doch welche Indizien deuten auf eine Sportsucht hin?
Oliver Stoll, Sportwissenschaftler von der Uni Halle, erklärt, dass er wenig Suchtpotenzial bei Teilnehmenden eines Wettkampfs sieht, der innerhalb einer Meisterschaft ausgerichtet wird. Anzeichen einer Sportsucht könnten sich anders zeigen, sagt er.
"Ich sehe nicht viel Suchtpotenzial bei einem Iron Man, der innerhalb einer Europameisterschaft ausgetragen wird. Athlet*innen bereiten sich diszipliniert vor, mit Training und Pausen."
Dass die Teilnehmenden sportsüchtig sind, ist aus Sicht von Oliver Stoll daher eher unwahrscheinlich. Der Sportpsychologe erklärt, dass Sportsucht eine ernstzunehmende Erkrankung ist. Die Wissenschaft unterscheidet in zwei Variationen des krankhaften Sporttreibens: primäre und sekundäre Sportsucht.
Die sekundäre Sportsucht gehe mit einer Essstörung einher. Den Zusammenhang zwischen einer sekundären Sportsucht und einer Essstörung erklärt der Mitarbeiter der Uni Halle so: "Das liegt ja auch nahe. Wenn jemand eine Essstörung hat, will er Kalorien verbrennen – dafür ist Sport natürlich ein super Instrument. Die sekundäre Sportsucht ist verbreitet." Sie betreffe etwa die Hälfte der Betroffenen einer Essstörung, so Oliver Stoll.
Niedrige Teilnahmeschwellen im Ausdauersport
Hingegen stehe die primäre Sportsucht für sich allein. "Die primäre Sportsucht ist ein sehr seltenes Phänomen. Es gibt nicht viele, die im Sinne einer primären Sportsucht sportsüchtig sind", sagt Sportpsychologe Oliver Stoll. Ausnahmesportevents wie Ultramarathon, Iron Man oder andere solcher Extremevents seien "generell natürlich anfällig beziehungsweise gelten als Ventil oder Kompensationsmöglichkeit für die Erkrankung."
Der Grund dafür sei, dass der Zugang zu solchen Events niedrig sei. Teilnehmende brauchen dafür kaum Equipment. Oliver Stoll sagt: "Wir brauchen Schuhe, wir gehen raus und laufen – fertig, aus. Wir brauchen dafür keine Infrastruktur, was uns das irgendwie verhageln könnte. Von daher sind Ausdauersportarten prädestiniert für Menschen, die so etwas entwickeln können."
Indizien für Sportsucht
Wer gern Sport macht und Sorge hat, dass er oder sie betroffen ist, sollte einige mögliche Indizien beachten. "Das auffälligste Merkmal für eine Sportsucht ist, dass ich Sport treibe, obwohl ich krank bin", erläutert Sportwissenschaftler Oliver Stoll.
Sport trotz Verletzung sei ein eindeutiges Merkmal für eine Sucht, "weil ich dabei ja bewusst eine Gefahr eingehe", sagt er. Merkmale, die aus anderen Suchterkrankungen bekannt sind – wie beispielsweise Stoffsteigerung – gebe es bei einer Sportsucht eigentlich nicht, "weil irgendwann ist es ja auch mal mit Training vorbei", so Oliver Stoll.
"So gefährliche Aktionen wie Sport trotz Krankheit sind Anzeichen für Sportsucht. Sich dann auch sozial zu isolieren und keine Rücksicht auf Freunde oder Familie zu nehmen - das sind Anzeichen, die man ernst nehmen muss."
Hilfe bei Sportsucht können sich Betroffene in einer Psychotherapie holen. Solche Ansätze sind in Deutschland Kassenleistung. Allerdings bemängelt der Fachmann die fehlende Spezialisierung von Therapeut*innen.
Bislang keine Spezialisierung auf Sportsucht
"Das sind sehr grobschlächtig betrachtet immer dieselben Ansätze: Also Verhaltenstherapie, psychoanalytische Psychotherapie oder systemische Psychotherapie. Die Therapien werden von Kassen bezahlt und sind auf alle möglichen Psychopathologien ausgelegt."
Allerdings seien all diese Therapien nicht spezialisiert auf eine Sportsucht. Deswegen erhalte jeder, der ärztliche Hilfe sucht, eine der genannten Therapieformen. Es gebe aktuell noch keine Psychotherapien, die sich auf die Behandlung von Sportsucht spezialisieren, sagt der Sportpsychologe Oliver Stoll.