Man steht im Supermarkt, wirst freundlich gegrüßt und fragt sich: "Kenne ich diese Person?" Solche Momente sind nicht selten. Warum wir manchmal Probleme haben, Menschen in unterschiedlichen Settings wiederzuerkennen.
Claus-Christian Carbon, Psychologe und Professor an der Uni Bamberg, erklärt, dass unsere Fähigkeit, Menschen zu erkennen, stark vom Kontext abhängig ist und dass das Gesicht allein oft nicht ausreicht. Viel wichtiger sei das Setting, in dem uns eine Person begegnet.
Wenn wir jemanden beispielsweise nur im beruflichen Kontext sehen, fällt es uns schwer, die Person in einer völlig anderen Umgebung wie in der U-Bahn oder auf einer Party wiederzuerkennen.
"Wir sind da nicht so voraktiviert. Das heißt, wir haben nicht den Suchraum in unserem großen möglichen Gedächtnis eingeschränkt."
Oft liegt das daran, dass unser Gehirn Menschen in ungewohnten Situationen nicht sofort zuordnen kann. Es ist nicht darauf vorbereitet, eine Person in einem unerwarteten Kontext zu treffen.
Super Recogniser und Gesichtsblindheit
Während manche Menschen Gesichter problemlos erkennen, gibt es extreme Ausprägungen in beide Richtungen. Carbon erklärt, dass sogenannte "Super Recogniser" Gesichter außergewöhnlich gut zuordnen können.
Auf der anderen Seite gibt es Personen mit Prosopagnosie, auch bekannt als Gesichtsblindheit. Davon sind in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen betroffen.
"Bei Prosopagnosie gehen wir davon aus, dass jeder vierzigste Mensch davon betroffen ist – das sind etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland."
Für diese Menschen ist es nahezu unmöglich, Gesichter zu unterscheiden, und sie müssen auf andere Merkmale wie Kleidung oder Frisuren zurückgreifen.
Gesichtserkennung trainieren: Geht das?
Warum manche Menschen besser im Erkennen von Gesichtern sind als andere, ist nicht vollständig geklärt. Carbon vermutet, dass ein Teil dieser Fähigkeit angeboren sein könnte, während andere sie durch Übung verbessern, etwa indem man oft mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun hat.
"Wer jeden Tag vielen Menschen begegnet und häufig Gesichter unterscheiden muss – zum Beispiel Polizisten – könnte im Vorteil sein."
Für Menschen mit Prosopagnosie gibt es dennoch Strategien, um im Alltag zurechtzukommen. Carbon betont, dass diese Einschränkung keine Aussage über die allgemeinen Fähigkeiten einer Person trifft. Jeder habe in der Regel irgendeine Art von Dysfunktion, etwa beim Lesen oder Rechnen.
"Die Prosopagnosie ist eine sogenannte Teilleistungsschwäche. Sie sagt gar nichts über die sonstigen Fähigkeiten eines Menschen aus."
Auch wenn unsere Fähigkeit zur Gesichtserkennung individuell unterschiedlich ist, ist eines sicher: Kontext und Übung spielen eine entscheidende Rolle. Und manchmal braucht es einfach einen Moment, bis der Groschen fällt.