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Die Krankentage aufgrund psychischer Erkrankungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Zum einen bekennen sich mehr Menschen zu ihrer Krankheit, zum anderen erkranken auch mehr. Laut dem Psychiater und Stressforscher Mazda Adli liegt das an den enormen Belastungen, denen unser Gehirn im modernen Alltag ausgesetzt ist. Eine mögliche Antwort auf das Problem könnte Achtsamkeitstraining sein, sagen die Ethiker Reyk Albrecht und Lena Güngör in ihrem Vortrag.

Ende März hat die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Links-Fraktion geantwortet, wie hoch die "arbeitsbezogenen psychischen Belastungen" in Deutschland sind. Ergebnis: In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Krankentage wegen psychischer Belastung verdoppelt. 

Unser Gehirn ist den Herausforderungen des modernen Lebens nicht gewachsen

Abends noch schnell aufs Handy schauen, morgens Mails checken und News lesen, den Coffee to go auf dem Weg zum Arbeitsplatz, ach ja: und noch rasch die To-do-Liste für den Tag mitnehmen. Wie lange geht ein solches Leben gut? Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse klagen sieben von zehn Berufstätigen darüber, dass ihnen ihr Leben zu stressig geworden ist. Besonders betroffen sind demnach die Mittdreißiger bis Mittvierziger.

Auch der Berliner Psychiater und Stressforscher Mazda Adli ist der Ansicht, dass wir solchem Druck nicht lange standhalten. Er stellt in seinem Vortrag klar: Unser Gehirn ist für die Schnelligkeit und die Reize, denen wir täglich ausgesetzt sind, nicht geschaffen. 

Anforderungen des modernen Alltags führen zu sozialem Stress

Mazda Adli spricht vom "sozialen Stress", der durch neue Formen der menschlichen Koexistenz entstehe. Die in Stellenanzeigen geforderte Belastbarkeit, das Durchsetzungsvermögen, nicht endend wollende Flexibilität, Mobbing oder Einsamkeit: Noch nie war die Zahl der Krankentage wegen Depressionen oder Ausgebranntsein so hoch wie heute. Ganz zu schweigen von somatoformen Krankheitsbildern, bei denen die Psyche vermutlich körperliche Beschwerden mitverursacht.

"Was wir in den letzten Jahren in Deutschland erleben, zeigt eine Gesellschaft, die unter Angstsymptomen leidet, vielleicht sogar eine angsterkrankte Gesellschaft ist."
Mazda Adli, Psychiater und Stressforscher

Mazda Adli hat gemeinsam mit anderen Psychiatern, Psychologen und Neurologen den Chor "Singing Shrinks" gegründet, um der eigenen Stressfalle zu entkommen. Und was können wir tun?

Achtsamkeit gegen Stress

Eine mögliche Antwort geben Reyk Albrecht, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Ethik der Uni Jena, und Lena Güngör, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Jena, in ihrem Vortrag. Auch an ihrer Universität haben die Anforderungen gewaltig zugenommen, berichten sie.  

"Psychiatrische Tageskliniken sind voll von Studenten und Doktoranden. Es ist teils alarmierend, wie Bachelor- und Masterstudiengänge uns ins Korsett zwängen, dass die Leute unter ganz großem Druck stehen."

Deshalb haben sie dort das Projekt "Achtsame Hochschulen in der digitalen Gesellschaft" gestartet, in dem sie neue Möglichkeiten untersuchen, das Leben von Studierenden und Lehrenden angenehmer zu gestalten, das sie in ihrem Vortrag vorstellen.

"Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen."

Reyk Albrecht führt während seines Vortrags auch eine Achtsamkeitsübung mit dem Publikum durch, bei der ihr - wo immer ihr euch aufhaltet -  mitmachen könnt. 

Mazda Adlis Vortrag wurde am 25. April 2018 bei der Tagung "Internet und seelische Gesundheit" aufgezeichnet, die von der Daimler und Benz Stiftung organisiert wurde. Der Vortrag von Reyk Albrecht und Lena Gungör fand am 26. November 2018 im Rahmen des Thüringentags für Philosophie an der Universität Jena statt. "Digitalisierung - Werte zählen" hieß dort das Motto. 


Mehr über Stress und Achtsamkeit bei Deutschlandfunk Nova:

Shownotes
Sozialer Stress
Die Angst-Gesellschaft
vom 30. März 2019
Moderator: 
Hans-Jürgen Bartsch
Vortragende: 
Mazda Adli, Psychiater und Stressforscher, Fliedner Klinik Berlin und Charité Berlin | Lena Güngör, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Thüringer Modellprojekt "Achtsame Hochschulen in der digitalen Gesellschaft" | Reyk Albrecht, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Ethikzentrums und des Bereichs Ethik, Universität Jena