Wenn die Geburtenzahl pro Frau sinkt, fehlen absehbar Menschen in den Betrieben, in den Armeen und in den Steuer- und Sozialsystemen. Zwei Vorträge aus der historischen Forschung zur Geburtenpolitik und ihrer Legitimation in der DDR und zur Stellung der werktätigen Frau in den ehemaligen sozialistischen Betrieben.
Die DDR hat sich einiges einfallen lassen, um ihren Einwohnern Anreize zur Reproduktion zu bieten: das "Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau" ebenso wie Darlehen oder das sogenannte Babyjahr. Die Präambel zum Mutter- und Kinderschutzgesetz aus dem Jahr 1950 führt aus, dass die "Förderung des Kinderreichtums" eine "der vornehmsten Aufgaben unseres demokratischen Staates" sei.
"Zum einen sollten mehr Mütter zur vollen Erwerbstätigkeit bewegt und zum anderen sollten mehr Kinder – und damit künftige Arbeitskräfte – geboren werden."
Der Sozialwissenschaftler Lukas Grawe legt dar, wie die Führung der Deutschen Demokratischen Republik diese sozialpolitischen Instrumente legitimiert hat. Und er spricht auch über die Entwicklung der Geburtenraten in der DDR, sowie nach dem Fall der Mauer.
"Bekam das Ehepaar Kinder, wurde eine bestimmte Summe erlassen. Beim dritten Kind war das gesamte Darlehen abgekindert, das heißt getilgt."
Daran anschließend beschreibt die Historikerin Jessica Lindner-Elsner, welchen Stellenwert die betriebliche Sozialpolitik der DDR für die Position der berufstätigen Frauen hatte.
"Sie sollten als berufstätige Frauen und Mütter durch ein solches betriebliches Angebot in ihren familiären Aufgaben entlastet werden, damit wurden jedoch überkommene Rollenvorstellungen weiter verfestigt."
Propagiert wurde die Gleichstellung der Geschlechter und eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen. Trotzdem sieht die Rednerin geschlechtsspezifische soziale Ungleichheiten.
"Die Gleichstellung beruhte auf der vollen Erwerbstätigkeit der Frau, wofür männliche Arbeit der Referenzpunkt war. Gleichzeitig waren Frauen weiterhin ganz selbstverständlich für die Care-Arbeit verantwortlich."
Insbesonders die in der DDR berufstätigen Frauen seien nach der Wende von einem hohen Armutsrisiko betroffen gewesen.
Die Vorträge
Der Historiker Lukas Grawe arbeitet am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Sein Vortrag heißt "Die Legitimation pronatalistischer Familienpolitik in der DDR und die Geburtenentwicklung nach Ende des Kalten Krieges".
Die Historikerin Jessica Lindner-Elsner arbeitet am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Ihr Vortrag heißt "'Frau Schmidt verkörpert in fachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht die Stellung der werktätigen Frau im Sozialismus' - Zum Verhältnis von betrieblicher Sozialpolitik und Geschlecht zwischen 1970 und den frühen 1990er Jahren".
Ihre Vorträge haben sie am 10. Juni 2022 anlässlich der 4. Hermann-Weber-Konferenz zur Historischen Kommunismusforschung gehalten, in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin.