Weil sie nicht schnell genug eine Arbeit finden, rutschen manche Menschen vom Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV genannt. Das Land Berlin will bald eine Alternative zu Hartz IV bieten: das solidarische Grundeinkommen.
Ab dem zweiten Quartal 2019 beginnt der Test – so der Beschluss des Berliner Senats. Deutschlandfunk-Nova-Reporter Pascal Fischer hat recherchiert und weiß, wie das in der Umsetzung genau aussehen soll.
Solidarisches Grundeinkommen ist nicht gleich bedingungsloses Grundeinkommen
Solidarisches Grundeinkommen (SGE) bedeutet, dass die Menschen, die es erhalten, etwas gesellschaftlich Relevantes dafür tun sollen – immer in Kommunen, kommunalen Unternehmen oder bei gemeinnützigen Trägern. Das solidarische Grundeinkommen entspricht also nicht dem bedingungslosen Grundeinkommen, für das die jeweiligen Bürger nichts tun müssten.
Jobs mit solidarischem Grundeinkommen könnten beispielsweise sein:
- Hausmeisterdienste oder Conciergetätigkeiten bei Wohnungsgesellschaften
- Arbeit in Kultureinrichtungen oder der Flüchtlingshilfe
- einfache Pflegetätigkeiten
- Service für ältere Bürger, zum Beispiel Einkaufen, Begleitdienst
- Hilfe im Nahverkehr
Arbeitsplätze wie diese sollen sozialversicherungspflichtig und unbefristet sein. Geplant sind zunächst 1.000 zusätzliche Arbeitsplätze, berichtet Pascal Fischer. Außerdem sollen keine Jobs aus dem ersten Arbeitsmarkt verdrängt werden.
Es gelten Landesmindestlohn oder der Tarifvertrag
Für die Jobs soll der Landesmindestlohn gelten oder tarifliche Gehälter, wo es einen Tarifvertrag gibt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin hat die Kosten für das SGE hochgerechnet: Bei bundesweit rund 150.000 Arbeitsplätzen könnten jährlich circa 750 Millionen Kosten zusätzlich entstehen.
Der Berliner Senat beruft sich für seinen Test auf den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD: Dieser sieht bis 2021 ein Budget von vier Milliarden Euro für Programme für Langzeitarbeitslose vor. Und das wären theoretisch auch Menschen, die vom Arbeitslosengeld I (ALG I) ins Arbeitslosengeld II (ALG II) rutschen. In Berlin bedeutet das je nach Familienstand monatlich 200 bis 300 Euro mehr im Vergleich zu Hartz IV.
"Für Betroffene heißt das konkret in Berlin: zwei bis mehr als dreihundert Euro Plus im Monat im Vergleich zu Hartz IV."
Kritik kommt von FDP und CDU
Nicht alle begrüßen das solidarische Grundeinkommen und seine Umsetzung. Unser Reporter Pascal hat beispielsweise mit Pascal Kober, dem sozialpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion gesprochen. Der sagt: Eigentlich entstehe nur ein zweiter Arbeitsmarkt für diese Beschäftigten. Die Betroffenen gerieten immer tiefer in die Abhängigkeit des Sozialstaates und fänden nicht mehr heraus.
"Wenn wir sie jetzt in eine solche Sonderwelt der Tätigkeiten führen, die es im Moment gar nicht gibt, Oberbegriff gemeinnützige Tätigkeiten in Vollzeit und das unbefristet, dann wird das eine Sackgasse sein. Sie kommen dann tiefer in die Abhängigkeit des Sozialstaats hinein und nicht hinaus."
Pascal Kober bemängelt außerdem eine Quersubventionierung: Die Stadt Berlin schaffe so Arbeitskräfte für Aufgaben in der Kommune, die finanziell vom Bund unterstützt würden.
Auch Jürn Jakob Schultze-Berndt von der CDU Berlin sieht das geplante solidarische Grundeinkommen kritisch: Denn das richte sich vor allem an Menschen, die zuvor ALG I bezogen hätten und voll arbeitsfähig seien. Also nicht an eigentliche Sorgenfälle und Langzeitarbeitslose, denen eine Teilnahme an der Gesellschaft ermöglich werden sollte, und die oft nicht Vollzeit arbeiten könnten.
"Wenn man sich entscheiden sollte, ihnen ein lebenswertes Teilhaben an der Gesellschaft zu ermöglichen, dann würden wir sagen, ist es genau das Richtige. Aber nun arbeitsfähige Leute vom Markt zu nehmen und sie hier mit solchen Beschäftigungen abzuspeisen, das halten wir für das völlig Falsche."
Zusammengefasst: Für Kritiker ist das solidarische Grundeinkommen also vor allem eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die anders heißt. Ob das stimmt, wird sich wohl erst nach dem Testlauf zeigen.
- Solidarisches Grundeinkommen – Das etwas andere Grundeinkommen | Solidarisches Grundeinkommen heißt die Idee, die gerade durch die Regierung kreist. "Was hier diskutiert wird, hat nichts mit einem Grundeinkommen zu tun, wie man sich das so vorstellt," stellt Sozialwissenschaftler Stefan Sell klar.
- Bedingungsloses Grundeinkommen in Finnland – Eine Handvoll Kohle fürs Nichtstun | Geld fürs Nichtstun oder mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge. Die Finnen haben es ausprobiert.
- Grundeinkommen in Kenia" – Sobald die Dürre vorbei ist, haben sie große Pläne" | Ein bedingungsloses Grundeinkommen hat sich bislang nicht durchgesetzt. Offene Fragen könnte ein großer Pilotversuch in Kenia beantworten.
Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de