Computerspiele können süchtig machen. Da sind sich Forschende mittlerweile einig. Und auch Social Media kann berauschend wirken – was aber oft noch vergessen wird. In ihrem Vortrag berichtet Psychologin Tagrid Leménager davon, wie das Belohnungssystem im Gehirn dann anfängt auf Hochtouren zu laufen.
Laut aktuellen Studien sind 2,6 Prozent aller User von Social Media davon abhängig – das ist mehr als bei Onlinespielen. Hier liegt der Wert bei 1,2 Prozent. In den Sozialen Medien springe der Belohnungsaspekt bei bestimmten Menschen besonders an, erklärt Psychologin Tagrid Leménager. Der Grund: positives Feedback in Form von Likes oder Antworten auf Beiträge.
Süchtig nach der Filterblase
Schnell kann so eine schöne neue Welt entstehen, die uns glücklich macht. Glücklicher als die reale mit ihren ständigen Herausforderungen und Problemen. Vor allem Instagram lebt von diesem Glaubenssatz, so die Forscherin. Je mehr Likes Nutzerinnen und Nutzer sammeln, desto mehr Anerkennung würden sie erfahren.
Leménager hat bei Facebook-Usern in die Gehirne geschaut und entsprechende Veränderungen festgestellt. Inzwischen sind Forschende so weit, dass sie Jahre im Voraus feststellen können, wer Persönlichkeitseigenschaften besitzt, die später mit deutlich hoher Wahrscheinlichkeit zur Onlinesucht führen.
Den Selbstwert vermeintlich aufbessern
Ein geringes Selbstgefühl und Onlinesüchte sind für die Psychologin Faktoren, die immer wieder gemeinsam auftreten. Nutzer werden sehr schnell eins mit den programmierten Ereignissen auf übergroßen Leinwänden, auf denen gezockt werde, sagt sie.
"Wenn man dann den PC ausschaltet und merkt, wie langsam die normale Welt ist, erscheint einem das Leben richtig langweilig."
Schnelle Computerwelt statt ein langweiliges Leben: Die Verlockung ist – auch historisch gesehen – groß: So viele Computerspiele wie seit der Corona-Pandemie sind noch nie verkauft worden, war auf der Veranstaltung mit Tagrid Leménager zu hören. Die Fachleute sprechen dabei von "nicht stoffgebundenen Süchten", also solchen, die nicht in Form von Rauschgift oder Alkohol konsumiert werden.
Links das Kind, rechts das Handy
Wie immer fängt das Problem ganz früh an, wie Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren zeigen: 70 Prozent der Kindergartenkinder sind jeden Tag eine halbe Stunde lang am Handy ihrer Eltern. Je mehr die Eltern solche Medien nutzen, desto größer die Verhaltensauffälligkeiten beim Nachwuchs.
Vielmehr beobachten Forschende neuerdings schon bei Babys und Kleinkindern Einschlaf- und Sprachentwicklungsstörungen, wenn Mama oder Papa – etwa beim Füttern – das Handy nicht weit genug weglegen. Bei jungen Erwachsenen folgen dann Konzentrations- und Hyperaktivitätsstörungen, Fettleibigkeit und Lernschwächen.
Tagrid Leménager ist Psychologin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim sowie Privatdozentin. Am 21. September 2020 hat sie an der Mannheimer Abendakademie über das Thema "Wenn Spielen zur Sucht wird" referiert. Schwerpunktmäßig befasst sie sich mit den Mechanismen, die eine Internet- oder Glücksspielsucht begünstigen. Dazu zählen psychologische, genetische und neurobiologische Aspekte.