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Die Zeit der europäischen Kolonialisierung ist zwar vorbei, doch die Folgen wirken sich bis heute auf unsere Lebensrealität aus. Sinthujan Varatharajah sagt: Um das koloniale Erbe zu sehen, müssen wir nicht ins Museum gehen. Es reicht, einen Blick auf unseren Alltag, auf die Straße, in die Natur zu werfen, um die gewaltvolle Geschichte zu sehen.

Als Queen Elisabeth II. am 8. September starb, gab es Beileidsbekundungen aus der ganzen Welt. Menschen trauerten, Hunderttausende wollten sich in London von ihr verabschieden. Der "Guardian" schrieb auf Twitter: "Die Welt betrauert Queen Elisabeth II."

Doch nicht die ganze Welt trauerte. Aus vielen Teilen der Welt kamen auch andere Töne. Und in diese stimmte auch Autor*in und Wissenschaftler*in Sinthujan Varatharajah mit ein. "Von welcher 'Welt' sprichst du, 'Guardian?'", antwortete Sinthujan auf Twitter. "Die Welt, die ich kenne, und deren Teil ich bin, feiert ihren Tod."

"Ich finde es interessant, wie eurozentrisch die Geschichtsschreibung ist."
Autor*in und Wissenschaftler*in Sinthujan Varatharajah

Für Sinthujan und viele andere ist die Queen nicht nur die ewige Monarchin, die 'nette Omi' und eine beeindruckende Frau gewesen, sondern das Oberhaupt eines Landes, das eine dunkle Kolonialgeschichte hat und für viel Gewalt verantwortlich ist, die bis heute nachwirkt. Tamil*innen wurden nach der Unabhängigkeit benachteiligt

Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte immer präsent

Sinthujan lebt heute als freie*r Autor*in und Wissenschaftler*in in Berlin. 1985 kam er*sie als staatenloses Kind in einem Asylzentrum in Deutschland zur Welt. Die Eltern waren Anfang der 80er Jahre aus dem heutigen Sri Lanka geflohen.

Dort herrschte von 1983 bis 2009 ein blutiger Bürgerkrieg – zwischen der sri-lankischen Regierung, die aus buddhistischen Singhales*innen bestand und tamilischen Separatist*innen, die für einen unabhängigen Tamilenstaat im Norden und Osten des Landes kämpften. Im Zuge des Bürgerkriegs suchten viele Tamil*innen in Deutschland Zuflucht – so wie Sinthujans Eltern.

"Im Vergleich zu anderen Menschen, die andere Kontexte haben, wird erst deutlich, wie viel Gewalt in der eigenen Geschichte steckt."
Autor*in und Wissenschaftler*in Sinthujan Varatharajah

Die Ursachen für den Bürgerkrieg, die systematische Benachteiligung von Tamil*innen und die bis heute anhaltenden Konflikte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen liegen auch in der Kolonialisierung des Landes, das 1948 seine Unabhängigkeit von der britischen Krone erlangte. Sinthujans Familiengeschichte sorgt auch dafür, dass er sich mit der Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte beschäftigt.

Koloniales Erbe auch in der Natur sichtbar

Sinthujan will sichtbar machen, wie gegenwärtig die Folgen der Kolonialisierung auch heute noch im Alltag sind. Und dass es keinen Gang ins Museum braucht, um die Folgen zu sehen.

"Eigentlich muss man nur auf die Straße gehen und die Straße selbst betrachten", sagt Sinthujan, für die/den das koloniale Erbe auch in der Natur sichtbar wird: "Allein in der Straße, in der ich bisher gewohnt habe, waren so viele Baumarten, die nicht von hier kommen."

"Alles, was der Kolonialismus geschaffen hat, ist nur noch die Idee einer Natur."
Autor*in und Wissenschaftler*in Sinthujan Varatharajah

Inwiefern die moderne Kameratechnik zur Kolonialisierung beigetragen hat und warum sich Europäerinnen und Europäern mit kolonialer Aufarbeitung immer noch schwer tun, hört ihr in unserer aktuellen Folge Deep Talk.

Wir freuen uns über eure Mails an mail@deutschlandfunknova.de

Empfehlungen aus dem Beitrag:
  • Varatharajah, Sinthujan: "An alle Orte, die hinter uns liegen", Hanserblau, 2022.
Shownotes
Sinthujan Varatharajah
"Die Geschichtsschreibung ist eurozentrisch"
vom 21. September 2022
Moderatorin: 
Rahel Klein
Gesprächspartner*in: 
Sinthujan Varatharajah, Autor*in
Die Quellen: