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Drohen bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland Gewaltexzesse? Polizei und Sicherheitsbehörden wollen eine EM ohne Ausschreitungen und verstärken ihre Sicherheitsmaßnahmen – auch gegen Hooligans. Denn die gelten als extrem gewaltbereit. Für Unboxing News haben wir mit einem gesprochen.

Beim letzten EM-Finale, 2021 im Londoner Wembley-Stadion, stürmten Tausende Fans ohne Ticket gewaltsam ins Stadion. Darunter sollen auch Polizeibekannte Hooligans gewesen sein. Vor der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland ist die Sorge groß, dass sich so etwas wiederholen kann.

"Sommermärchen mit Schattenseiten"

"Jedes Sommermärchen hat seine Schattenseiten", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann. "Auch Hooligans und Krawalltouristen werden sich auf den Weg nach Deutschland machen", ist er sich sicher.

Und damit ist er nicht der Einzige.

"Ich kann verstehen, dass man durch diese martialischen Bilder Angst bekommt."
Goscha, Hooligan

Goscha ist Unternehmer aus Hessen. In seiner Freizeit ist er Fußballfan, Stadiongänger – und professioneller Kampfsportler. Er macht "Bare-Nuckle-Fighting", dabei treten die Kontrahenten mit bloßen Fäusten gegeneinander an. Und: Goscha – so lautet sein Kampfname – ist Teil der Hooligan-Szene. Er ist einer der wenigen, die sich öffentlich dazu äußern. Dass die Bilder von sich verkloppenden Horden vielen Leuten Angst machen, kann er nachvollziehen.

Hooligan Goscha: "Von Hooligans geht eigentlich keine Gefahr aus"

Auf die Frage, ob wir bei der EM Angst vor Hooligans haben müssen, sagt er trotzdem: "Nein." Jede Person, die aktiv ins Stadion gehe und Ahnung davon habe, wisse, dass "von Hooligans eigentlich keine Gefahr ausgeht". Beziehungsweise, sagt Goscha: Es sei eine Gefahr genauso wie auf jedem Volksfest, wo viel Alkohol im Spiel ist. Ein per se erhöhtes Risiko für Menschen, die ins Stadion gehen, sieht er nicht.

"Ich bezeichne mich als aktiven Fußball-Fan, der regelmäßig zu seinem Fußballverein fährt und den auch vertritt, falls es mal zu Auseinandersetzungen kommt."
Goscha, Hooligan

Auch aus Sicht von Rechtsextremismus-Forscher Robert Claus, der ein viel beachtetes Buch über die Hooligan-Szene geschrieben hat ("Hooligans: Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik"), müssen EM-Besucher*innen keine grundsätzliche Angst vor möglichen Ausschreitungen haben. Vor allem könne man das auch nicht pauschal für alle Spiele an allen Standorten sagen.

Gewalt in Bahnhofsnähe und bei "Ackermatches"

Claus unterscheidet geplante, also vorbereitete Gewaltaktionen, und spontane Gewalt: Letztere habe sehr viel mit lokalen Gegebenheiten zu tun, vor allem mit den An- und Abfahrtswegen und den Zugängen zum Stadion.

Bilder von Hooligans, die sich im oder vor Stadien gegenseitig verprügeln, wie es in den 80er- und 90er-Jahren in der Bundesliga noch üblich war, sind eher selten geworden, erläutert Robert Claus. In den letzten Jahrzehnten hätten sich die Krawalle – vor allem auch unter dem Druck der Sicherheitsleute und der Polizei – eher auf die An- und Abfahrtswege verlagert. Die Gewalt finde nun vermehrt etwa an Bahnhöfen statt, wo Fußballfans umsteigen müssen.

"Wir reden über Menschen, die größtenteils auch im Kampfsport ihre Gewalt geschult haben."
Robert Claus, Hooligan-Experte

Außerdem hat die Hooligan-Szene ein eigenes Kampfsportformat entwickelt, so Claus – die sogenannten "Ackermatches": Zwei gleichgroße Gruppen von Hooligans mit verschiedenen T-Shirt-Farben treffen sich auf einer abgelegenen Wiese. Es gibt rudimentäre Regeln und sogar Schiedsrichter. Ein offizieller Verband steht nicht dahinter.

Bundesgerichtshof: "Unethische" Gewalt

Legal ist es allerdings nicht, sich zu so einem Ackermatch zu treffen, erklärt Robert Claus: Mitte der 2010er-Jahre gab es ein Urteil gegen die Hooligan-Gruppe "Elbflorenz". Demnach handelt es sich bei den Kämpfen um "gemeinschaftlich organisierte Körperverletzung".

"Die Hooligan-Matches markieren ein Stück weit juristisch, aber auch sportethisch, die Grenze zwischen Sport und Gewalt."
Robert Claus, Hooligan-Experte

Die ausgeübte Gewalt sei "unethisch", weil unkontrollierbar: Es gebe viel zu wenige Schiedsrichter. "Wenn 20 gegen 20 Menschen antreten, bräuchte man eigentlich etwa 20 Schiedsrichter, damit man es irgendwie mit legalen Boxkämpfen vergleichen kann", erklärt Robert Claus. Das sei aber eben nicht der Fall.

Wenn der Körper gegen die Angst arbeitet

Auch Goscha war schon oft bei solchen "Ackermatches" dabei. Was er dabei empfindet? Eine Mischung aus Adrenalinschub, die Verdauung sei besser, jegliche Instinkte seien angeschaltet – und "eine gewisse Portion Angst" sei natürlich auch dabei.

"Das ist eine extreme Arbeit, die der Körper macht, um gegen die Angst zu arbeiten. Dieses Gefühl mag ich sehr – das ist ein positives Gefühl."
Goscha, Hooligan

Doch genau dieses Gefühl – dass sein Körper gegen die Angst arbeitet – mag Goscha sehr. Er spricht von Aufregung und Freude, er lache auch sehr viel mit seinen Freunden und genieße das Gemeinschaftsgefühl.

Hooligans, Neonazis und das Bild von Männlichkeit

Dass unter Hooligans auch viele Menschen mit rechtsextremer Gesinnung sind, ist Goscha bewusst. In Deutschland sei ihr Einfluss nicht so groß, sagt er, in anderen Ländern schon. Goscha distanziert sich von diesen Gedanken – kämpfen wolle er allerdings gegen jeden, er mache da keinen "ideologischen Schritt".

Die Hooligan-Szene und der militante Neonazismus in Deutschland hätten eine große Schnittmenge, seien aber nicht deckungsgleich, sagt Hooligan-Experte Robert Claus. Ein Teil der Hooligan-Szene definiere sich nicht als rechtsextrem und stehe rechtsextremen Organisationen auch fern.

"Der Hooliganismus ist derzeit immer noch einer der zentralen Rekrutierungspools für den militanten Neonazismus."
Robert Claus, Hooligan-Experte

Trotzdem sei die Hooligan-Szene nach wie vor einer der zentralen Gruppen, in denen militante Neonazis rekrutiert würden. Vor allem teile man dort ein ähnliches Bild von Männlichkeit – konkret: von damit verbundener Härte und Durchsetzungskraft. Robert Claus sagt: "Das ist so eine Art Männlichkeitsappell und ein Angebot aus Action, Kampfsport und Gewalt."

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Sicherheit bei Großveranstaltungen
EM 2024: Müssen wir Angst vor Hooligans haben?
vom 14. Mai 2024
Moderation: 
Rahel Klein
Reporter: 
Martin Schütz
Gesprächspartner: 
Goscha, Hooligan
Gesprächspartner: 
Robert Claus, Hooligan-Experte