Hinter Gittern haben es die Schwachen besonders schwer – und das ist auch in deutschen Gefängnissen so. Sie werden schikaniert, körperlich angegriffen und im schlimmsten Fall sogar vergewaltigt, sagt Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft.
Erst in dieser Woche wurde vor dem Landgericht Gera ein Fall verhandelt. Die Staatsanwaltschaft hat dem 35-jährigen Angeklagten vorgeworfen, einen Mithäftling im Gefängnis Hohenleuben in Thüringen vergewaltigt zu haben. Das Gericht sah allerdings keine Beweise gegen den Angeklagten und sprach ihn frei. Das ist kein Einzelfall, sagt Manuel Matzke. Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe kommen hinter Gittern immer wieder vor.
Manuel Matzke arbeitet als Sprecher der Gefangenengewerkschaft (GGBO) und setzt sich für die Rechte von Häftlingen in Deutschland ein. Er selbst ist ein verurteilter Straftäter. Mittlerweile lebt er in einem Gebäude ohne Gitter – außerhalb der Justizvollzugsanstalt. Tagsüber kann er sich frei bewegen, denn seit 2018 ist er im offenen Vollzug. Davor hat er vier Jahre hinter Gittern verbracht. Durch seine Erfahrungen im Knast und die Arbeit bei der Gewerkschaft bekommt er viel mit, sagt er.
Die Dunkelziffer ist hoch
Manuel Matzke ist sich sicher: Die Dunkelziffer ist hoch. Dass die Taten nicht bekannt werden, habe mehrere Gründe. Zum einen hätten Justizvollzugsanstalten kein Interesse daran, dass Vergewaltigungsfälle nach außen dringen. Denn dann würde die Verantwortung des Systems in Frage gestellt werden.
Das System Justizvollzugsanstalt sei sehr intransparent, sagt Matzke. Alles was hinter den Mauern des Schweigens passiere, solle auch da bleiben. Vor Medienbesuchen würden Insassen angewiesen, nur bestimmte Dinge zu erzählen. Die ganze Wahrheit sei das nie.
"Alles was hinter den Mauern des Schweigens passiert, soll auch da bleiben. So wenige Informationen wie möglich sollen nach draußen dringen. Wenn was passiert, dann dringt nur das nach außen, was geschönt ist."
Ein weiterer Grund, der für eine hohe Dunkelziffer spricht, ist das Verhältnis von Häftlingen untereinander: Selbst wenn es um Vergewaltigungen geht, stehe der Korpsgeist oft über allem. Betroffene schämen sich und fürchten, von den anderen als Verräter abgestempelt zu werden, sagt Manuel Matzke. Viele würden deshalb lieber schweigen.
"Viele Gefangene haben Scham oder werden schnell als Verräter abgestempelt, weil sie geredet haben."
Manuel Matzke hat selbst keine sexuelle Gewalt in der JVA erlebt, erzählt er, aber bei einem Mithäftling habe er es mitbekommen. Er sei körperlich noch sehr kindlich gewesen. Das habe ein anderer Insasse ausgenutzt. Oft sind die Opfer sich selbst überlassen, sagt Matzke. Denn in deutschen Gefängnissen herrsche akute Personalnot.
Außerdem bekommen Insassen nicht in jedem Bundesland eine Einzelzelle. Wer in einer Unterkunft untergebracht ist, in der sich zwei oder drei Häftlinge eine Zelle teilen müssen, ist "natürlich immer mit dem Budenspanner, wie es im Knast-Jargon heißt, auf Zelle", sagt Matzke. Was hinter den geschlossenen Türen dann passiere, bekomme niemand mit.
"Man kann es nicht wirklich überwachen. Wegen der aktuellen Personallage ist es nicht möglich. Es passiert dann, wenn die Zellen geschlossen sind. Da erfolgt keine Kontrolle."
Forderung: Mehr Präventionsarbeit
Wichtig sei vor allem, mehr Präventionsarbeit beim Personal in den JVAs zu leisten, sagt Matzke. Es müsste nicht nur deutlich mehr Personal eingestellt werden, sondern dieses auch besser geschult werden. Denn oft sei das Personal für solche Themen nicht sensibilisiert. Auch eine Kommunikation auf Augenhöhe finde nur selten statt. Das sei ein Problem: Nur wenn sich Häftlinge, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, von den Gefängnis-Mitarbeitern ernst genommen fühlen, würden sie sich anvertrauen.
"Am Ende suchen Menschen, die das Martyrium durchleben müssen, für sich den einfachsten Ausweg, um da herauszukommen – und das ist vielleicht der Suizid, weil hinter den Mauern des Schweigens hast du nicht die Möglichkeit zu fliehen.“
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