Der Hashtag #MeToo hat einiges ins Rollen gebracht. Mittlerweile ist die Kontroverse um sexuelle Belästigung von Frauen auch in den obersten Politik-Etagen angekommen: im EU-Parlament in Brüssel.
Medien wie die Sunday Times und Politico hatten Frauen aufgefordert, ihnen ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu schicken. Und Hunderte Frauen haben das getan: Auf der Straße, in der Bahn, bei der Arbeit - eigentlich kann es überall passieren.
Das EU-Parlament: ein "hotbed of sex harassment"?
Die Sunday Times hat das EU-Parlament nun am Wochenende als "hotbed of sex harassment" bezeichnet - also eine "Brutstätte sexueller Belästigung". Die Rede ist von anzüglichen SMS über Angebote, mit auf ein Hotelzimmer zu kommen bis hin zu körperlichen Übergriffen. Auch Politico hat über solche Fälle berichtet.
Wir haben mit Bojan Pancevski gesprochen, dem EU-Korrespondenten der Sunday Times. Er hat sich in Brüssel mit über 20 betroffenen Frauen getroffen und mit ihnen über ihre Erfahrungen gesprochen.
"Ich wusste leider schon immer, dass es im EU-Parlament eine Atmosphäre gibt, wo Abgeordnete und hohe Beamte dreckige Witze machen – auch in Gegenwart von Journalisten."
Alle hätten sich irgendwie damit arrangiert, sagt Pancevski. Das Ausmaß des Problems sei ihm allerdings nicht bewusst gewesen.
Prekäre Arbeitsverträge
Auslöser für seine Recherche sei die #MeeToo-Kampagne gewesen: In den Feeds seiner Social Media Accounts habe er viele Frauen gefunden, die bei der Kampagne mitmachen – und die für EU-Institutionen arbeiten, vor allem für das Europäische Parlament, erzählt Bojan. Daraufhin habe er sie angesprochen, teilweise sei er auch anonym kontaktiert worden.
"Die betroffenen Frauen sind entweder Assistentinnen oder Praktikantinnen. In der Regel sind es junge Frauen, die gerade von der Uni nach Brüssel gekommen sind."
Die Assistentin eines EU-Abgeordneten habe keinerlei institutionelle Macht, sagt Bojan. Außerdem sei sie über einen prekären Arbeitsvertrag angestellt und könne jederzeit vom Abgeordneten entlassen werden. Die üblichen Regeln des Arbeitsschutzes würden in diesen Fällen nicht gelten.
"Die Abgeordneten haben eine relativ uneingeschränkte Macht über ihre Angestellten. Sie müssen sich nicht rechtfertigen."
Die Macht der "kleinen Götter"
Die Abgeordneten in Brüssel sind keine Beamten, sie sind gewählte Politiker, die Immunität genießen, sagt Bojan. Die Polizei dürfe also gar nicht ohne Weiteres ermitteln.
"Die Politiker werden wie kleine Götter behandelt – da gibt es eine Riesenstruktur um sie herum."
Auf der einen Seite gebe es da also die jungen, meist unerfahrenen Frauen. Auf der anderen Seite die EU-Parlamentarier, denen eine regelrechte Armee von Rechts- und Medienberatern zur Seite stehe. Nicht nur im Falle sexueller Belästigungen, auch bei anderen irregulären Handlungen könne das für sie von Vorteil sein.
"Die EU-Parlamentarier werden kaum angezeigt. Sie werden 'intern geprüft' – das dauert manchmal Jahre. Und dann passiert am Ende nichts."
Mehr Transparenz, mehr Druck
Das aktuelle System sei schlecht, sagt Bojan, um solche Fälle, wie sie jetzt bekannt geworden sind, aufzuklären. Er wünscht sich mehr Transparenz und mehr Medienpräsenz. Der öffentliche Druck auf die Parlamentarier müsse steigen.
Bojan fordert eine Struktur, die es Frauen und Betroffenen ermöglicht, Übergriffe zu melden, ohne dass sie dadurch berufliche oder anderweitige Nachteile befürchten müssen.
"Das EU-Parlament muss die Kultur des Schweigens brechen."
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