Der westafrikanische Senegal galt lange als stabile Demokratie. Doch nach abgesagten Wahlen rutscht das Land in eine politische Krise. Wie es dazu kommen konnte – und was junge Menschen denken, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Sira Thierij.
Der Senegal im äußersten Westen Afrikas galt lange eine der stabilsten Demokratien des Kontinents. Doch dann verschob Präsident Macky Sall die Wahlen – das gab es im Senegal noch nie.
Der offizielle Grund: Im wichtigen Verfassungsrat gibt es Korruptionsvorwürfe. Bei der Liste der für die Wahl zugelassenen Kandidaten soll nicht alles sauber gelaufen sein. Doch Juristen und Oppositionspolitiker werfen dem Präsidenten einen institutionellen Putsch vor, um so länger als erlaubt an der Macht zu bleiben. Denn er darf gemäß der Verfassung nicht zum dritten Mal kandidieren.
Oppositionelle in Haft, Fernsehsender verboten
Die Menschen in der Hauptstadt Dakar reagierten mit Entsetzen und Wut. "Wir haben diese Regierung satt. Die jungen Leute haben Uni-Abschlüsse, aber finden keine Arbeit. Es gibt einfach keine Jobs. Es gibt hier gar nichts", sagt eine Frau.
"Ich bin total schockiert. Ich bin echt davon ausgegangen, dass wir wählen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich wurde nach der Unabhängigkeit geboren und hätte nie gedacht, dass wir das, was in anderen afrikanischen Ländern passiert, auch im Senegal durchmachen", sagt eine andere.
"Wir sind die Generation, die brutal aufgewacht ist und verstanden hat, dass sich radikal etwas verändern muss — und zwar jetzt."
Auch Gaffiti-Künstler Mazdoo kritisiert die Entwicklungen. Er zeigt auf Fotos seiner Kunstwerke. Darauf zu sehen: Präsident Macky Sall, Polizisten, tote Demonstranten. In den letzten Jahren sind bei Regierungsprotesten über 20 Leute getötet worden.
Hunderte Oppositionelle sitzen in Haft und Journalisten werden eingeschüchtert, ein großer Fernsehsender verboten. Er sagt: "Das ist keine Demokratie. Wir sind die Generation, die brutal aufgewacht ist und verstanden hat, dass sich radikal etwas verändern muss — und zwar jetzt."
Normalerweise ist das Kunstkollektiv gefüllt mit jungen Senegalesen, die von Mazdoo lernen, ihre Frustrationen durch Graffitis auszudrücken. Es fehlt an Jobs, Perspektive, Sicherheit.
Doch heute sind nur Mazdoo und sein Kollege dort. Aus Angst vor weiteren Demonstrationen steht das Land immer wieder still. Polizeiaufgebot in Schutzausrüstung in der gesamten Stadt. Ohne mobiles Internet fällt es den jungen Menschen schwer, sich zu organisieren.
Rap gegen die Krise
Didier Awadi ist ein Musiker von Black Positive Soul. In vielen seiner Songs rappt er über die demokratische Krise in seinem Land. In Zeiten wie diesen sei das wichtiger denn je, sagt er. "Wenn wir so was hier im Senegal erleben, dann sprechen alle Künstler mit einer Stimme. Im Senegal ist der Rap ernst. Wir haben als Land schon so viel durchgemacht und für die Demokratie gekämpft."
Doch heute findet auch er nicht die Kraft zu singen. Zu tief sitzt der Schock über das, was in seinem Land gerade vorgeht. "Wenn so etwas passiert, müssen wir in die Aufnahmestudios und auf die Straßen und demonstrieren, weil wir nicht einverstanden sind, weil wir nein sagen."
Viele Putsche in der Region
Der Senegal galt lange Zeit als Leuchtturm der Hoffnung und Demokratie in einer zunehmend instabilen Region. In mehreren Nachbarstaaten hat das Militär in den letzten Jahren geputscht. Nirgendwo sonst auf der Welt sterben so viele Menschen an den Folgen des Terrorismus wie in der Sahel-Zone.
Doch dort sind die meisten Menschen froh über ihre neuen Regierungen. Sie sehen das Militär als Rettung, das sie von alten Staatschefs befreien, die sich nicht für die Bedürfnisse der Bevölkerung interessieren, sagt Guillaume Soto-Mayor, Wissenschaftler in Dakar.
"Für viele Menschen in der Sahel-Region, dort, wo das Militär in den letzten zwei oder drei Jahren geputscht hat, ist das die Essenz dessen, was die Bevölkerung wirklich will", sagt er.
"Unsere Bevölkerung möchte endlich frei sein."
Er ergänzt: "Sie sehen ihren politischen Willen durchgesetzt — und zwar weil sie dadurch die politische Elite loswerden, die sie immer und immer wieder enttäuscht hat. Für viele Menschen in der Sahel-Region ist die Militärregierung also eine Lösung und eine potenzielle Alternative für die Zukunft."
Künstler Mazdoo schaut trotz der politischen Krise stolz auf das, was die senegalesische Jugend in den letzten Jahren erreicht hat: "Vor ein paar Jahren noch wären Senegalesen niemals auf die Straßen gegangen um zu protestieren und sich vor die Polizisten zu stellen, vor die geladenen Gewehre und 'Free Senegal' zu rufen. Ich war dort, ich hab’s mit meinen eigenen Augen gesehen. Unsere Bevölkerung möchte endlich frei sein."