Anastasia war erst Bürokauffrau. Dann hat sie auf Kreta ein Café eröffnet. Es war nicht einfach, ihre Eltern von diesem Traum zu überzeugen. Die Psychologin Nadja Bürgle weiß, welche Bedeutung Lebenssinn und Selbstverwirklichung für uns haben können.
Anastasias Herz hängt schon immer auf Kreta. Sie ist jedes Jahr auf die Insel geflogen, um dort Urlaub zu machen. Ihre Mutter ist Griechin.
Anastasia sagt, mit Kreta verbindet sie einfach ein Freiheitsgefühl: "Ich hab mich hier selbst als kleines Kind erst frei gefühlt und deswegen war das auch immer mein Wunsch, diese Freiheit auch in meinem alltäglichen Leben zu leben und nicht nur im Urlaub oder in den Ferien. Und deshalb wollte ich weg und auch unbedingt nach Griechenland." Nach ihrer Ausbildung war Anastasia nicht glücklich und hat sich umorientiert.
"Ich habe in Deutschland eine Büroausbildung gemacht. Aber es war nichts für mich. Ich habe dann rumgekellnert und überlegt: Was will ich eigentlich?"
Anastasia hat zu Hause viel gebacken. Schon mit etwa elf Jahren ging das los. Und irgendwann war für sie klar, dass sie ihr Hobby zum Beruf machen will. Sie hat sich entschieden, Konditorin zu werden. Ihr selbst ist diese Entscheidung nicht schwer gefallen: "Es war glaube ich viel schwieriger, die Unterstützung von Verwandten und vor allem auch von den Eltern zu bekommen."
Anastasias Mutter stand von Anfang an voll hinter den Plänen. Doch ihr Vater war erst nicht überzeugt. Anastasia war es aber wichtig, die volle Unterstützung von beiden zu bekommen. Deshalb hat sie immer wieder gezeigt, dass sie es ernst meint und ihre Backkünste vorgeführt.
Zwei Jahre von der Idee bis zur Auswanderung
Ihr Vater war zunächst weiter skeptisch, ob Anastasia mit dem Backen Geld verdienen sollte. Anastasia war aber beharrlich, um ihren Vater zu überzeugen.
"Ich habe dann ständig gebacken und gesagt: 'Probier doch mal, probier doch mal.' Und dann hat mein Vater auch irgendwann gemerkt, dass es nicht nur ein Interesse ist, sondern ein Talent."
Deshalb haben die Auswanderungspläne sich auch etwas hingezogen: Zwei Jahre hat es gedauert, bis sie auf Kreta war. Dort hat sie dann angefangen, eine Ausbildung zur Konditorin zu machen. Obwohl sich Anastasia damit einen Traum erfüllt hat, war es auch nicht immer einfach.
"Ich war die ersten sechs Monate alleine in Griechenland. Ich hab zwar Familie hier, aber die haben ja auch ihre ganzen Dinge zu erledigen und arbeiten. Und ich hatte ja auch keine Freunde."
In der ersten Zeit viel alleine
Dazu kam, dass Anastasia in der ersten Zeit in einem kleinen Dorf mit etwa 80 überwiegend älteren Einwohnenden gelebt hat – 40 Kilometer von der Stadt entfernt. Und dann auch noch in der Winterzeit, in der nichts los ist. Das Ganze hat sie psychisch sehr belastet. Aber sie hat sich davon nicht unterkriegen lassen.
"Weil ich mir dachte, du willst es jetzt schon so viele Jahre. Und jetzt hast du es endlich gemacht. Nicht aufgeben. Und ich habe nicht aufgegeben."
Anastasia ist dann nach Iraklio gezogen, in die Hauptstadt von Kreta. Und dann wurde vieles besser. Anastasia hat Freunde gefunden und sagt, die zweiten sechs Monate in Griechenland seien die beste Zeit ihres Lebens gewesen.
Irgendwann hat sie sich dann konkreter Gedanken darüber gemacht, wie es beruflich in Griechenland weitergehen soll. Mitten in der Ausbildung stand Anastasia vor der Entscheidung, als fertige Konditorin irgendwo als Angestellte zu arbeiten oder aufs Ganze zu gehen und etwas Eigenes aufzumachen.
Traum vom eigenen Café erfüllt
"Und dann habe ich bei einer Freundin zufällig gesehen, dass sie einen Laden bei Instagram in die Story gepostet hat, der zu vergeben ist", erzählt Anastasia. Sie ist hingegangen und hat sich direkt in den Laden verliebt.
"Ich bin hingegangen zum Kaffee trinken, um mal so ein bisschen zu gucken. Und am Ende des Tages habe ich das Café gekauft."
Anastasia hat alles Vertragliche und Finanzielle geklärt und dann erst ihrer Mutter von den Plänen erzählt: "Sie ist halt nicht so risikofreudig wie ich, aber sie fand die Idee gut." Anastasias Vater hat erst drei Monate später davon erfahren. Sie hat ihm dann alles im Detail erklärt – vom Konzept bis hin zur Kostenaufstellung: "Er hatte eigentlich keine Möglichkeit, irgendwas zu sagen, weil ich wirklich ohne Punkt und Komma geredet habe."
Und auch wenn er es nicht von Anfang an gezeigt hat – von ihrer Mutter und ihrer Schwester hat Anastasia später erfahren, ihr Vater sei verdammt stolz gewesen, dass sie es einfach gemacht hat. Trotzdem sind bei Anastasia irgendwann auch Selbstzweifel aufgekommen, weil es auch eine anstrengende Zeit war.
"Ich kam schon oft an meine Grenzen und habe überlegt, war das jetzt so richtig mit 23."
Anastasia steckt noch in der Ausbildung, als sie das Café übernimmt. Sie ist oft an ihre Grenzen gekommen, denkt sich aber auch: "Wo wäre ich denn jetzt, wenn ich es nicht gemacht hätte? Es war schwierig, aber es ist machbar. Man braucht viel Geduld, sehr viel Geduld."
Obwohl Anastasia schon viel erreicht hat, gibt es noch einen weiteren Traum, den sie sich erfüllen will: Einen Online-Shop mit ihren eigenen Produkten, und Backkurse, die sie anbieten möchte.
Das eigene Potenzial entfalten
Die Psychologin Nadja Bürgle weiß, welche Bedeutung Lebenssinn und Selbstverwirklichung für uns haben können. Aber was bedeutet Selbstverwirklichung eigentlich? Für die Psychologin heißt das, das eigene Potenzial zu entfalten und auszuleben: "Konkret kann das zum Beispiel beinhalten, dass ich meine Talente und Stärken entwickle und einsetze oder daran arbeite, wertvolle Ziele zu erreichen. Oder ganz grundsätzlich mein Leben in Einklang mit meinen Bedürfnissen und meinen Interessen gestalte."
Zwei Arten von Glück
In der Psychologie wird zwischen zwei Arten von Glück unterschieden: Es gibt zum einen das Wohlfühlglück – oder auch hedonistisches Wohlbefinden – und zum anderen das Werteglück – also das eudaimonische Wohlbefinden.
"Beim Wohlfühlglück geht es darum, das Leben zu genießen und möglichst viele positive Gefühle zu haben."
Wohlfühlglück heißt, ein angenehmes Leben zu führen, erklärt die Psychologin: "Das erleben wir zum Beispiel bei einem leckeren Essen, einem witzigen Abend mit Freunden oder wenn man am Pool liegt."
Werteglück dagegen bedeutet, ein erfülltes Leben zu führen: "Dabei geht es mehr um eine gute Lebensführung als um das gute Gefühl. Also mehr auch um den Prozess als um das Ergebnis."
"Werteglück erleben wir zum Beispiel, wenn wir danach streben, uns selbst zu verwirklichen."
Wichtig: Sich selber besser kennenlernen
Beim Streben nach Selbstverwirklichung könnt ihr euch an drei Fragen orientieren:
- Wer bin ich?
- Wer will ich sein?
- Wie komme ich dahin?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, könnt ihr beispielsweise die Best Possible Self Übung anwenden – eine Übung aus der Positiven Psychologie. Die funktioniert so: Ihr nehmt euch etwa 30 Minuten Zeit und stellt euch vor, dass ihr zehn Jahre in der Zukunft lebt und alles im Leben optimal verlaufen ist. Sprich: Alle Ziele und Träume wurden verwirklicht und ihr lebt das bestmögliche Leben, das ihr euch vorstellen könnt. Diese Zukunft solltet ihr euch so detailliert wie möglich vorstellen und ganz darin eintauchen.
Best Possible Self Übung sorgt für mehr Wohlbefinden
Dann nehmt ihr einen Stift, stellt den Wecker auf 20 Minuten und schreibt auf, wie dein Leben in dieser Zukunft aussieht. Nach Ablauf der Zeit schaut ihr euch genau an, was das Geschriebene über eure Werte, Ziele, Stärken und Bedürfnisse aussagt. Danach überlegt ihr euch, was ihr tun könnt, um dieser Vision näherzukommen. Studien zeigen, dass diese Übung – wenn sie immer wieder durchgeführt wird – zu einem höheren Wohlbefinden und mehr Motivation führt.
"Selbstverwirklichung ist ein kontinuierlicher Prozess, der ein Leben lang andauert."
In der Psychologie wird zudem zwischen extrinsisch und intrinsisch motivierten Zielen unterschieden, erklärt die Psychologin: "Extrinsisch motivierte Ziele verfolgen wir aus einem äußeren Antrieb herauf. Zum Beispiel, wenn wir eine Belohnung erwarten oder Druck verspüren, weil jemand erwartet, dass wir das tun." Das fühlt sich dann meist mühselig und schwerfällig an. Möglicherweise müssen wir uns auch dazu überwinden.
"Intrinsische motivierte Ziele verfolgen wir aus einem inneren Antrieb heraus, weil sie für uns wertvoll und lohnend sind", sagt Nadja Bürgle. Damit verbunden sind viele positive Emotionen. Man hat ein höheres Durchhaltevermögen und lässt sich von Misserfolgen weniger entmutigen.
"Es hilft, sich ehrlich zu fragen: Ist das Ziel für mich persönlich wertvoll und wie fühlt es sich für mich an, dieses Ziel zu verfolgen?"
Mit der WOOP-Methode die eigenen Ziele erreichen
Um seine Träume und Wünsche zu erreichen, könnt ihr auch die WOOP-Strategie anwenden. Sie stellt eure positive Zukunftsvision möglichen Hindernissen gegenüber. WOOP steht dabei für:
- W (Wish = Wunsch, Ziel)
- O (Outcome = Ergebnis)
- O (Obstacle = Hindernis)
- P (Plan = Plan)
Zuerst wird der Wunsch klar formuliert. Dann überlegt ihr euch, welche Hindernisse es auf dem Weg dahin geben könnte und sucht Wege, diese Hindernisse zu überwinden. Das könnte der Psychologin zufolge dann so aussehen: "Wenn Hindernis X auftaucht, dann verfolge ich Plan Y." Der Vorteil: Man ist darauf vorbereitet, welche Hindernisse auftauchen können.
Selbstverwirklichung kann auch negative Gefühle auslösen
Der Drang, sich selbst zu verwirklichen, ist aber nicht immer nur positiv behaftet, sagt Nadja Bürgle: "Oftmals spürt man eben auch diesen Druck, einen großen Traum oder eine Lebensaufgabe zu finden. Weil es gerade in unserer Gesellschaft dazugehört, sich selbst zu verwirklichen, sich selbst zu optimieren."
Die Forschung zeigt, dass dieser eine große Traum nicht notwendig ist, um ein erfülltes Leben zu führen. Allerdings sollte man schon ein Gefühl von Orientierung im Leben haben. Wichtig dafür sind beispielweise Werte, die euch wie einen Kompass leiten.
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- Selbstverwirklichung: Anastasia eröffnet ein Café auf Kreta
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