Das Medium prägt die Musik. Die Schallplatte hat die Albumlänge bestimmt, das Radio hat die Single in 3:30 Minuten gepresst und gleichzeitig das Intro der Songs gekürzt. Und was machen die Streaming-Dienste mit der Popmusik?
Der amerikanische Musikblog Pitchfork meint: Streaming verändert die Popmusik. Und die Süddeutsche Zeitung schreibt's ab. Aber stimmt es, dass Popsongs krasser, schneller und spektakulärer werden - nur weil wir so viel Musik über Streamingdienste hören?
Ab 31 Sekunden zählt ein Stream als gehört
Wichtig dabei ist Spotifys Zahlungsmodalität. Musiker und Labels bekommen erst Kohle, wenn wir Hörer mindestens 31 Sekunden durchhalten. Wenn wir nach 28 Sekunden gelangweilt weiter skippen, bekommt der Musiker nichts. Und schlimmer noch: Spotify weiß natürlich ganz genau, wann wir auf den Skip-Button drücken. Wired hat herausgefunden, dass der Streaming-Dienst solche Songs nach drei Tagen aus den Playlisten schmeißt.
"Das instrumentale Intro hat sich am stärksten verändert. Mitte der 80er war es typischerweise um die 22 Sekunden lang. 2015 waren es nur noch fünf Sekunden."
Dass Popsongs immer schneller zur Sache kommen, fing schon mit dem Formatradio an. Das hat das Intro auf dem Gewissen. Und eigentlich ist es naheliegend, dass Songschreiber die ersten 30 Sekunden von Popsongs immer weiter optimieren. In amerikanischen Songwriting Sessions, in denen versucht wird, den nächsten Hit zu schreiben, scheint es wirklich eine Rolle zu spielen. Das sagt Ross Golan, er schreibt Songs für Justin Bieber, Selena Gomez oder Ariana Grande und macht den Podcast "And The Writer is..."
"Wenn ich deine Aufmerksamkeit nicht für mindestens 15 Sekunden einfange, wirst du meinen Song weiter skippen. Wenn ich also will, dass mein Song gehört wird, dann gebe ich mir bei den ersten Sekunden des Songs besonders viel Mühe."
Laut Ross Golan bedenken also amerikanische Songwriter Streaming mit. In Deutschland scheint es aber anders zu sein. Martin Fliegenschmidt sitzt hier in Songwriting Sessions mit dem Popsänger Max Giesinger. Martin meint, dass Streaming-Dienste sein Songwriting nicht wirklich beeinflussen. Aber etwas anderes hat sich schon verändert.
"Zur Zeit gibt es unglaublich viele kleine Hookteile. Es geht weg von dem klassischen Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Ding, hin zu viel kleinteiligeren, jeweils in sich hookigen Teilen."
Heißt also: Chartsongs werden abwechslungsreicher, kommen schneller zur Sache und klingen nach großem Spektakel. Und das passt perfekt zur digitalen Zeit, die von großer Ungeduld geprägt ist. Wäre ja auch seltsam, wenn die Popsongs nicht darauf reagieren würden. Nur die Streaming-Dienste alleine, sie sind nicht schuld daran.